Ex-Ministerpräsident Stoiber wirbt in Hamburg für ein Konjunkturprogramm durch weniger Regeln

Hamburg. Es ist fünf Jahre her, dass Edmund Stoibers politische Laufbahn beendet schien. Seine eigene Partei, die CSU, hatte ihn nach rund 14 Jahren als bayerischen Ministerpräsidenten zum Rücktritt gedrängt. Es blieb eine unvollendete Karriere: 2002 war er für wenige Stunden gefühlt Bundeskanzler - bis das Endergebnis Kanzler Schröder und Rot-Grün zum Sieger erklärte. 2004 wollte man dem CSU-Politiker erst das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission, dann das des Bundespräsidenten antragen - er verzichtete. Nun ist Stoiber ehrenamtlicher Leiter der Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission zum Abbau der Bürokratie. Und noch immer ein Publikumsmagnet.

Rund 350 Unternehmer folgten der Einladung des CDU-Wirtschaftsrats auf das Panoramadeck im Emporio Tower, 23 Stockwerke über Hamburg. Und erlebten einen Politiker, der offen und pointiert vom "Glanz und Elend der Gesetzgebungstätigkeit" berichtete. Dass das Elend für den obersten Bürokratieabbauer oftmals überwiegt, zeigte seine scherzhafte Drohung: "Ich könnte Ihnen Hunderte Fälle nennen." Er beließ es bei einigen wenigen Beispielen, die zeigten, woran es gerade auf europäischer Ebene mangelt.

Am Anfang steht in Europa die Idee - und die ist oftmals gut. So wollte die EU die Sicherheit auf den Straßen verbessern und die Lenkzeiten von Lkw-Fahrern auf 56 Stunden in der Woche beziehungsweise neun Stunden am Tag begrenzen.

Um dies zu kontrollieren, wurden digitale Tachografen Pflicht - mit dem Ergebnis, dass die Polizei plötzlich nicht nur Brummifahrer auf dem Weg von Hamburg nach Bari kontrolliere, sondern auch Handwerker auf dem Weg von Hummels- nach Barsbüttel. Es folgte eine Wutwelle gegen die "Bürokraten in Brüssel", die nationale Politik mischte sich ein. Und Stoiber hatte fortan über Monate zu tun. In Einzelgesprächen mit Kommissar, Kommission, dem europäischen Parlament und nationalen Politikern versuchte der CSU-Politiker, Entlastungen für kleine Gewerbetreibende zu erreichen. Im Juli 2011 befreite die EU-Kommission Handwerksbetriebe tatsächlich von der Tachografenpflicht. Stoiber wäre nicht Stoiber, hätte er diesen Erfolg nicht auf Heller und Pfennig ausgerechnet: So seien die kleinen Unternehmen europaweit um 53 Millionen Euro entlastet worden.

Wie viel zu tun bleibt, zeigt eine andere Zahl des 71-Jährigen: Zwischen 1998 und 2004 seien für die EU-Bürger 21 000 Normen, Gesetze und Verordnungen in Kraft getreten, 18 000 davon auf Impuls aus Brüssel. Seine Aufgabe sieht er zweidimensional. Politik und Verwaltung müssten in Brüssel die Folgen ihrer Entscheidungen stärker abschätzen. "Ich denke, dass meine Arbeit zum Umdenken in der Verwaltung beiträgt." Noch wichtiger sei die ökonomische Dimension. "Bürokratieabbau ist ein kostenloses Konjunkturprogramm." Seine Gruppe habe über 300 Vorschläge zur Entbürokratisierung mit einem Sparvolumen von 41 Milliarden Euro vorgelegt; immerhin 30 Milliarden Euro seien beschlossen worden.

Die Europäische Kommission ist mit der Arbeit des Bayern offenbar zufrieden: Sein Mandat ist erst vor wenigen Tagen um zwei Jahre bis zum 31. Oktober 2014 verlängert worden.