Die Grenzkriminalität belastet viele Städte in Ostdeutschland. Gestohlen wird alles. Die Polizei ist nahezu machtlos.

Hirschfelde. Manchmal muss sich Bernd Müller fühlen, als sei er Dorfpolizist, dabei ist er doch nur Ortsbürgermeister, ehrenamtlich dazu. "Ich bin für die Probleme des täglichen Lebens da", sagt Müller. Wenn die Leute in Hirschfelde Hilfe benötigen oder etwas zu nörgeln haben, melden sie sich bei ihm. Manchmal auch, wenn bei ihnen eingebrochen wurde, wieder einmal. "Es vergeht kein Tag, an dem hier nicht geklaut wird", sagt Müller.

Von Hirschfelde sind es nur ein paar Meter bis über die Neiße, das zierliche Örtchen im Dreiländereck Sachsen-Polen-Tschechien ist eine Hochburg der Grenzkriminalität. Bunte Blumen schmücken die Fensterbänke des Hirschfelder Gemeindeamts, drinnen sitzt Bernd Müller in seinem Büro. Die Heizung ist aus, weil Müller nur einmal im Monat für die Bürgersprechstunde hierherkommt. Als das Hochwasser vor zwei Jahren den sächsischen Ort überflutete, koordinierte Müller mit der Feuerwehr die Lage. Wenn die Diebe aber über die Grenze kommen und sich nehmen, was sie wollen, weiß auch er nicht weiter. "Es bringt doch nichts, wenn die Leute mich anrufen, weil sie bestohlen wurden", sagt Müller. Das sei Aufgabe der Polizei. Und die tue ihr Möglichstes.

Aber was ist das schon? "Wir sind nicht zufrieden mit der Situation, aber wir können's nicht ändern", sagt der Ortsbürgermeister. "Du kannst nicht alles verhindern, dann brauchst du 10 000 Polizisten hier." Aber etwas mehr Präsenz, sagt Müller, den Dieben eine Falle stellen, das müsse doch heute möglich sein. "Na ja, vielleicht stelle ich mir das zu einfach vor." Die Bevölkerung in den grenznahen Gebieten sei besonders sensibel, heißt es aus dem sächsischen Innenministerium. Besonders gehäuft auftretende Straftaten würden anders wahrgenommen und bewertet als in Großstädten oder Ballungsgebieten.

Hirschfelde hat 1800 Einwohner, eine Kirche und einen Marktplatz, auf dem ein paar Stände aufgebaut sind, es gibt die Dinge, die man zum Leben braucht. Es sind weniger Käufer dort als Verkäufer, aber die Leute hätten etwas zu erzählen, viele Hirschfelder sind Opfer geworden. Doch sie wollen nicht reden über ihre Erfahrungen, über ihre Sorgen, aus Angst, dass sie dadurch in den Fokus der Diebe geraten könnten. Von den Schienen haben sie die Befestigungskrallen geklaut, zwei Wochen konnte kein Zug fahren. Aus den Gärten der Hirschfelder nehmen sie die Hollywoodschaukeln mit. Es passiert, dass jemand den Rasen mäht, zum Mittagessen ins Haus geht, wieder herauskommt und der Rasenmäher weg ist. Beim Bürgermeister der Kreisstadt Zittau, zu der Hirschfelde gehört, haben sie unten die Wohnung leer geräumt, während der Mann oben schlief. Mit dem Bürgermeister-Fahrrad haben sie die Sachen über die Grenze gebracht.

Grenzkriminalität macht den ostdeutschen Ländern zu schaffen. Die sächsische Polizei habe eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, sagt das Innenministerium. "Ein signifikanter und nachhaltiger Rückgang der grenzüberschreitenden Kriminalität ist vorerst gleichwohl nicht zu erwarten." Die Anzahl der Diebstähle im Grenzbereich ging von 2010 auf 2011 leicht zurück (minus 1,9 Prozent). 2012 deutet die Tendenz wieder auf einen Anstieg hin.

Mit den offiziellen und den tatsächlichen Fallzahlen ist das ohnehin so eine Sache. Die Leute zeigten nicht mehr alles an, sagt der Hirschfelder Ortsvorsteher. Nur wenn die Polizei die Diebe auf frischer Tat ertappt, kann sie ihnen etwas anhängen. Schaffen sie es über die Neiße, ist es zu spät. "Deutsche Polizisten sprechen kein Polnisch", sagt Müller, "und polnische Polizisten sprechen kein Deutsch."

Und selbst wenn jemand erwischt wird, hat der Staat zwar die Personalien, der Dieb aber noch lange kein Verfahren am Hals. Weil die Täter meistens nicht das Geld haben, um die Verfahrenskosten zu tragen, würde die Bundesrepublik darauf sitzen bleiben. "Die Kosten sind höher als der Wert der gestohlenen Dinge", sagt Ortsbürgermeister Müller, "da drückt der Staat lieber ein Auge zu." Die, sagt Müller immer, wenn er die Diebe aus dem Osten meint, "die klauen, um überleben zu können." Müller bezeichnet die Hirschfelder Diebe als Kleinkriminelle. Keine organisierten Banden, kein Schema.

Jörg Decke bleibt am Elektrozaun stehen, der das Gelände der LVS Landtechnik in Triebes begrenzt. Decke ist der Geschäftsführer und bietet alles, was ein Landwirt braucht. Wo Decke steht, standen bis zum späten Abend des 14. September fünf nagelneue Traktoren und ein Radlader in einer Reihe, noch nicht zugelassen, Kosten: etwa 350 000 Euro. Als Deckes Mitarbeiter am 15. September gegen sieben Uhr auf den Hof kamen, waren sie weg.

Sie riefen die Polizei, eine Streife kam, die Kripo folgte. Die Beamten versuchten Spuren zu finden, sehr laienhaft hätten sie das gemacht, sagt Decke. Es gab natürlich Spuren, "die Diebe konnten ja nicht einfach mit den Maschinen weggeflogen sein", sagt Decke. Aber die hätten er und seine Mitarbeiter gesehen, nicht die Polizei.

Wie können sechs Fahrzeuge mit Rädern so groß, dass Decke sich hineinsetzen kann, einfach so verschwinden? "Wenn die Jungs ihr Handwerk verstehen, ist das kein Akt", sagt Decke. Er lacht, auch wenn es nicht viel zu lachen gibt. "Solange die Täter nicht zu schnell fahren und geblitzt werden, fallen sie nicht auf."

Decke vermutet, dass der Weg der Maschinen nach Polen führte oder in die Ukraine. Zeugen wollen sie in Rostock gesehen haben, von dort könnten sie ins Baltikum gekommen sein. "Die Diebe müssen in ein Land, in dem man wenig Fragen stellt. Im zivilisierten Europa wären sie ihre Ware wegen der Seriennummern nicht losgeworden."

Der Weg nach Tschechien wäre von Triebes aus der Kürzeste, eine gute Stunde ist es bis zur Grenze, aber dass die Diebe ihn gewählt haben, glaubt Decke nicht, er hat dort ein Jahr gearbeitet. "Tschechien ist das europäischste der osteuropäischen Länder", sagt er, "da gibt es noch eine gewisse Gerichtsbarkeit." Die anderen Länder seien wie schwarze Löcher, dort finde sich nichts mehr wieder.

"Solche Beutezüge hat es früher nicht gegeben", sagt Decke, "erst seit der Grenzöffnung." Die Politik freue sich über ein offenes Europa und schwäche ihre Machtinstrumente. "In diesem Land wird das Hab und Gut der Bürger nicht mehr geschützt." Es finde sich kein Staatsanwalt, der über Ländergrenzen hinweg ermittele.

Bernd Müller sitzt an seinem Schreibtisch in Hirschfelde. Am Morgen haben sie im Radio vom Besuch des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) im Nachbarland Polen berichtet, Polen sei ein wichtiger Handelspartner, hieß es da. Müller sagt, die Grenzkriminalität stärke die rechten Parteien, die ein Politikum aus der Lage machten. Wäre es eine Lösung, die Grenzen wieder dicht zu machen? "Ach, das ist ja Quatsch", sagt Müller, lauter als sonst.