Der Bundestag debattiert über den Antisemitismusbericht. Die Opposition fordert als Konsequenz eine langfristige Strategie.

Berlin. Unter dem Eindruck von Gewalttaten gegen Juden in den vergangenen Wochen in Berlin hat der Bundestag gestern erstmals über den Antisemitismusbericht eines unabhängigen Expertengremiums beraten, der seit November 2011 vorliegt. Die daran beteiligten Wissenschaftler waren 2009 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) infolge eines Bundestagsbeschlusses berufen worden. Nach dem Antisemitismusbericht weist etwa jeder fünfte Deutsche antisemitische Tendenzen auf. Die Experten kritisieren in dem Bericht, dass das Vorgehen gegen den Antisemitismus weitgehend unkoordiniert sei.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich begrüßte den Bericht. Er solle einmal pro Legislaturperiode aktualisiert werden, schlug der CSU-Politiker vor. Vor allem den durch das Internet aufgebauten Propagandastrukturen müsse etwas entgegengesetzt werden. Friedrich (CSU) erinnerte an den Angriff gegen den Rabbiner Daniel Alter, der vor sieben Wochen in der Hauptstadt brutal zusammengeschlagen worden war. "Ich glaube, dass dieser Überfall Handlungsauftrag an uns alle war", sagte Friedrich.

Die Oppositionsparteien haben eine langfristige Strategie gegen den Antisemitismus in Deutschland gefordert. Theoretische Erkenntnisse reichten nicht aus, erklärte der SPD-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Notwendig sei eine Verstetigung der Bundesprogramme zur Bekämpfung von Antisemitismus. Befristete Modellprojekte seien nicht wirksam. Es müsse eine Verlässlichkeit geben, nur dann könnten die Programme Wirkung zeigen. Der SPD-Politiker forderte vor allem eine bessere Finanzierung von Projekten. Oftmals würden diese gerade erst richtig mit der Arbeit beginnen, wenn die Förderung bereits wieder auslaufe. Erneut warb er für eine Bundesstiftung, unter deren Dach Projekte gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus gebündelt werden können. Vertreter der Koalitionsfraktionen wiesen Thierses Kritik am derzeitigen Engagement gegen Antisemitismus zurück.

Der menschenrechtspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, forderte zudem die Abschaffung der Extremismusklausel bei der Beantragung von Fördermitteln zur Extremismusbekämpfung. Diese sieht vor, dass Antragsteller schriftlich bezeugen, dass sie für die freiheitlich demokratische Grundordnung in Deutschland einstehen, um staatliche Fördermittel zur Extremismusprävention zu erhalten.

Die Religionsbeauftragte der Unions-Bundestagsfraktion, Maria Flachsbarth (CDU), betonte, es reiche nicht, neue Bundesprogramme zu fördern. Notwendig seien auch die Stärkung der Zivilcourage sowie mehr Informationen über Religionsgemeinschaften. In diesem Zusammenhang begrüße sie etwa das im Mai eröffnete Zentrum Jüdische Studien. Der Religionsbeauftragte der FDP-Fraktion, Stefan Ruppert, betonte, antisemitische Töne etwa auch bei der Beschneidungsdebatte zeigten, dass in der Gesellschaft "die Sensibilität für die Identitätsstiftung der Religion" verloren gehe. Viele glaubten, Religion und Moderne stünden in einem Spannungsverhältnis. "Dem ist aber nicht so", betonte Ruppert. Die linke Bundestagsabgeordnete Petra Pau erklärte, es sei Zeit, Antisemitismus parteiübergreifend zu ächten. Eine "Flucht von Juden" aus Deutschland als Folge von latentem Antisemitismus "wäre ein Armutszeugnis für uns alle".