Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) wirft Bayern vor, den Ausbau der Windenergie auf den Meeren zu torpedieren

Berlin. Erwin Sellering gilt als Mann der leiseren Töne. Die meisten Debatten überlässt er lieber seiner Sozialministerin, SPD-Vize Manuela Schwesig. Abr bei der Energiewende verhält es sich anders: Der sozialdemokratische Schweriner Regierungschef schlägt Alarm.

Hamburger Abendblatt:

Herr Ministerpräsident, wenn nicht die Kanzlerin, sondern Sie selbst die deutsche Energiewende eingeleitet hätten: Was wäre heute anders?

Erwin Sellering:

Man hätte von vornherein sagen müssen: Das kostet Geld. Und man hätte gleich die Weichen so stellen müssen, dass die Kosten der Energiewende gerecht verteilt werden. In der Bundesregierung sind die Vertreter, die den Status quo erhalten wollen, viel zu stark.

Die Bundesregierung will den Ausbau der Offshore-Windenergie vorantreiben. Reichen die bisherigen Bemühungen?

Sellering:

Die großen Energiemengen, die das Industrieland Deutschland auch nach der Energiewende braucht, können nur durch Offshore-Windparks hergestellt werden. Die Bundesländer im Süden, die ihren Strom bisher mit Atomkraft selbst erzeugt haben, fürchten daher um ihre Stellung. Die Chancen der Energiewende liegen im Norden, die Sorgen liegen im Süden. Ich bin aber fest davon überzeugt: Ganz Deutschland wird von der Energiewende profitieren.

Werden Norden und Süden des Landes bei der Energiewende gleichwertig behandelt?

Sellering:

Ich sehe, wie der Süden den Norden behindern will. Nehmen Sie den Vorstoß der CSU-Verbraucherministerin Ilse Aigner, die den mühsam gefundenen Kompromiss bei der Haftung im Offshore-Bereich kippen will. Sie tut so, als ob sie verbraucherfreundlich handelt. In Wahrheit betreibt Aigner knallharte Regionalpolitik. Das kann so nicht bleiben. Der Bau der Offshore-Windparks kann nur vorangetrieben werden, wenn das Risiko von der Gemeinschaft getragen wird. Wer das nicht will, verhindert den Ausbau der Offshore-Technologie und damit die Energiewende.

Die Haftung für mögliche Verzögerungen soll auch an die Stromkunden abgewälzt werden. Die Gemeinschaft trägt also die Risiken.

Sellering:

Die Offshore-Betreiber, die innovatives Neuland betreten, brauchen dabei Unterstützung. Es kann nicht sein, dass einem Netzbetreiber bei jeder Verzögerung sofort Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann und er sofort zahlen soll. Wenn wir diese Kostenfrage falsch entscheiden, wird der Offshore-Ausbau nicht vorankommen. Genau das scheint Bayern zu wollen. In München sagt sich die CSU: Offshore, das brauchen wir nicht.

Heute wird Mecklenburg-Vorpommern dazu im Bundesrat einen Antrag einbringen. Was wollen Sie konkret ändern?

Sellering:

Die Netzbetreiber sollten nur für die Risiken des Offshore-Ausbaus haften, wenn sie nachweislich grob fahrlässig gehandelt haben.

Glauben Sie, dass die Bundesregierung auf Sie hört?

Sellering:

Sie sollte. Wir haben derzeit eine heftige Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd über die Frage: Wollen wir Offshore oder nicht? Diese Debatte findet aber nicht öffentlich statt. Offshore steht auf der Kippe, weil die Technologie sehr anspruchsvoll ist und erst in späteren Jahren wettbewerbsfähig Strom liefern wird. Allein: Ohne Offshore wird die Energiewende scheitern.

Ist Ihre Aufregung nicht übertrieben?

Sellering:

Ich fürchte wirklich, dass Offshore scheitert. Bei uns sind alle bereit, sofort loszulegen. Die falsche Haftungsregelung wäre ein Stopp-Signal.

Heute werden die Nord-Länder zusammen in Berlin ein Büro der Offshore-Wind-Industrie-Allianz eröffnen. Was hat es damit auf sich?

Sellering:

In den Ländern im Norden gibt es sehr erfolgreiche Windkraft-Netzwerke, die ihre Kompetenzen jetzt in einem gemeinsamen Büro in Berlin bündeln. Die Windkraftinteressen des Nordens werden damit auf Bundesebene gestärkt

Wie fällt Ihr Urteil über Umweltminister Altmaier aus?

Sellering:

Persönlich schätze ich ihn. Er ist derjenige in der Koalition, der die Energiewende zum Erfolg führen will und auch den Erfolg der Windkraft auf den Meeren will. Mit großer Sorge sehe ich, wie CSU und FDP ihm das Leben schwer machen. Es ist ärgerlich, dass wir keinen echten Energieminister haben. Warum die Bundesregierung eine so weitreichende Änderung der Politik ausruft, ohne die Zuständigkeiten zu bündeln, ist mir ein Rätsel. Wir brauchen dringend ein Energieministerium.

Was halten Sie von seinem Vorschlag, die Öko-Umlage zu reformieren?

Sellering:

Es ist richtig, dass Bund und Länder sich beim Ausbau der erneuerbaren Energien auf eine gemeinsame Planung einigen müssen. Richtig ist auch, dass der Strompreis für die privaten Verbraucher bezahlbar bleiben muss. Deshalb den Ausbau der erneuerbaren Energien zu begrenzen ist aber falsch. Wir brauchen kluge Regelungen im EEG. Mecklenburg-Vorpommern ist da zu Gesprächen bereit.

Ärgern Sie sich bisweilen über Ihre eigene Stromrechnung?

Sellering:

Meine eigene Stromrechnung ist relativ niedrig, weil ich selten zu Hause bin. Andere sind viel härter getroffen. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir das niedrigste Einkommens- und Rentenniveau. Ein Rentnerehepaar mit 1200 Euro netto im Monat spürt es extrem, wenn sich die Stromrechnung um 20 Euro erhöht. Wir müssen Lösungen finden, die für die Menschen bezahlbar sind.

Was schlagen Sie vor, um diese Lösung zu finden?

Sellering:

Wir dürfen die Wirtschaft nicht so stark entlasten. Das geht viel zu weit zulasten der privaten Verbraucher. Wir müssen die Netzkosten gerechter verteilen, damit nicht die Regionen mehr zahlen, die mehr erneuerbare Energien ins Netz einspeisen. Und wir brauchen eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Wir müssen die Stromerzeuger so unterstützen, dass für sie der Anreiz besteht, den notwendigen innovativen Entwicklungsprozess möglichst schnell erfolgreich zu bewältigen. Momentan garantieren wir den Erzeugern von erneuerbaren Energien einen Endpreis. Damit liefern wir keine Anreize, Strom günstiger herzustellen.

Aber wem wäre mit Ihrer Idee konkret geholfen?

Sellering:

Die Unternehmen könnten weiter mit verlässlicher Unterstützung rechnen. Die Hauptgewinner wären aber die Verbraucher. Sie wären die Nutznießer der Energiewende. Und so sollte es auch sein.