Allein in Hamburg sollen 100 Praxen heute geschlossen bleiben

Berlin. Deutschlands Kassenärzte sollen im kommenden Jahr zwischen 1,15 und 1,27 Milliarden Euro mehr verdienen. Mit diesem Kompromiss legten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ihren monatelangen Honorarstreit gestern Abend nach achtstündigen Verhandlungen bei.

Bereits am Nachmittag hatte sich der Chef des Bewertungsausschusses, der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem, zuversichtlich gezeigt. Er hatte beiden Seiten den entscheidenden Kompromissvorschlag vorgelegt.

Trotz der Einigung wollen Tausende Mediziner heute protestieren und zum Teil ihre Praxen schließen. In einer Schaltkonferenz habe noch am späten Abend eine Mehrheit dafür gestimmt, an der Protestplanung festzuhalten, sagte der Sprecher der Allianz der deutschen Ärzteverbände, Dirk Heinrich, der Nachrichtenagentur dapd.

Mit dem nun gefundenen Kompromiss sei das Grundproblem, wonach 30 Prozent der ärztlichen Arbeit nicht entlohnt werde, nicht gelöst. Die Proteste richteten sich nicht nur gegen die Honorarpolitik der Kassen, sondern auch gegen ein Übermaß an Bürokratie.

Bis zu 80 000 Ärzte und Angestellte wollten am Vormittag und Mittag bei den Kundgebungen vor 35 Krankenkassen-Filialen ihrem Ärger Luft machen - etwa in Frankfurt am Main, Köln, München, Düsseldorf, Augsburg, Nürnberg und Berlin, sagte Heinrich. Vor allem viele Orthopäden, Magen-Darm- und Herz-Spezialisten, Hals-Nasen-Ohren- und Lungenärzte wollten ihre Praxen ganz geschlossen halten.

In Hamburg werden heute voraussichtlich rund 100 Arztpraxen aus Protest nicht öffnen. Davon seien alle medizinischen Fachrichtungen betroffen, sagte Michael Späth von der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. Dort können sich die Patienten über gesonderte Notdienste informieren. Der fahrende Notdienst ist verstärkt im Einsatz.

Wie hoch das jetzt ausgehandelte Honorar-Plus genau ausfällt, ist nun von weiteren Details abhängig, die in den Regionen verhandelt werden sollen. Die Steigerung belaufe sich auf drei bis vier Prozent, sagte der KBV-Vorsitzende Andreas Köhler. Die KBV hatte 3,5 Milliarden Euro mehr verlangt. Die Kassen waren zunächst nur zu einem Plus von 900 Millionen Euro bereit.

Köhler begrüßte, dass die Psychotherapeuten wie von der KBV gefordert künftig nicht aus dem Gesamtbudget, sondern aus einem gesonderten Honorartopf bezahlt werden sollen. Kassenverbands-Vize Johann-Magnus von Stackelberg hob hervor, dass es mehr Geld für die Grundversorgung durch Haus- und Fachärzte geben soll. Der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem bezifferte das dafür veranschlagte Honorar auf 250 Millionen Euro.

"Wir haben Eckpunkte beschlossen", sagte Wasem. Der Honorarstreit sei beendet. Die Details sollen bei einer weiteren Runde am 22. Oktober noch formal beschlossen werden. Gemäß der Vereinbarung soll es auch dabei bleiben, dass die Preise für ärztliche Behandlungen und Diagnosen im Volumen von 270 Millionen Euro steigen sollen. Verhandelt worden war bis zuletzt über die Menge der Leistungen und die besondere Stellung der Psychotherapeuten, die bisher beim Honorar im Vergleich zu anderen Arztgruppen besonders schlecht wegkamen.

Nach der jüngsten amtlichen Statistik liegen die Allgemeinmediziner mit einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 116 000 Euro am unteren Ende der Ärzteverdienst-Skala. Spitzenreiter sind die Radiologen mit 264 000 Euro. Die Zahlen stammen allerdings aus dem Jahr 2007 - neuere Daten werden gerade erhoben.

Für die Verteilung des Geldes sind die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen in den Regionen zuständig. Je nach Einfluss der Facharztgruppen gibt es für die einen oder anderen Mediziner mehr oder weniger Geld.