Erstmals spricht der frisch gekürte SPD-Kanzlerkandidat in Hamburg. Großes Thema ist Europa - und ein modisches Accessoire

Hamburg. Hach, die Krawatte. Peer Steinbrück hat wirklich daran gedacht. Rot ist sie, mit dunkelblauen schmalen Streifen. Die offizielle Bucerius-Krawatte, zu kaufen für 29 Euro im Fan-Shop der Law School in der Jungiusstraße. Dass der SPD-Kanzlerkandidat sie an diesem Tag trägt, freut deren Geschäftsführer Hariolf Wenzler ganz besonders. Und so ist der Schlips auch erstes Gesprächsthema, als Steinbrück gegen viertel vor zwei vor der Handwerkskammer aus seiner schwarzen Limousine steigt.

Nun gießt es in Strömen an diesem Freitag in Hamburg, deshalb fällt der Begrüßungs-Smalltalk an der Autotür kurz aus. Schnell geht es rein in den Festsaal, wo Steinbrück vor rund 700 Gästen eine Rede halten soll. "Tach", ruft er der blonden Frau hinter dem Empfangstresen zur Begrüßung zu. Die nickt zurück. Aber Steinbrück, Ex-Finanzminister und seit einer Woche große Hoffnung der Sozialdemokratie, kann das ohnehin nicht mehr sehen. Er ist umringt von Fernsehkameras, Mikrofonen und Fotografen. Und zwischendurch stellt man ihm auch noch Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) vor, die ihn dann mit dem Tross zu seinem Platz in der ersten Reihe begleitet.

Es ist die akademische Feier der Jura-Elite-Uni, 116 neue Studenten werden begrüßt, die neue Präsidentin Doris König offiziell ins Amt eingeführt. Und Steinbrück ist dabei, als Mitglied des Kuratoriums der Zeit-Stiftung, die die Law School vor zwölf Jahren ins Leben gerufen hat. "Festvorträge dauern bei mir normalerweise 90 Minuten", warnt er, als er sein Redemanuskript aus der Tasche zieht, auf das er später kein einziges Mal gucken wird. Die Leute lachen. Humor ist immer gut.

Steinbrück ist an diesem Tag allerdings nicht als Entertainer in seine Geburtsstadt gekommen, sondern als Mahner. Er spricht über das Europa seiner Großväter, die in Kriegen "verheizt" seien worden, und das sich so sehr von dem Europa unterscheide, wie es die Studenten kennen würden. "Wir leben seit 60 Jahren in einem privilegierten Ausnahmezustand", will er die jungen Leute erinnern. "Das ist nicht selbstverständlich."

Was Steinbrück danach ausbreitet, ist eine Vision des Kontinents, die derjenigen von Kanzlerin Angela Merkel gar nicht so unähnlich ist. Er will mehr Europa statt eines losen Staatenverbundes, er will den Weg der Integration fortsetzen, auch wenn das bedeute, dass Deutschland Souveränität abgeben muss "bis hin zu Haushalts- und Steuerfragen". Man müsse auch darüber sprechen, wie man europäische Institutionen demokratisch legitimieren könne. Und: "Für diese europäische Zivilisation rechtfertigt es sich auch, dass wir dafür etwas leisten. Und mit einem aktuellen Bezug: Auch dafür bezahlen." Von den Studenten fordert er, sich einzumischen in die europapolitische Debatte, "denn das ist Ihre Zukunft".

Als Steinbrück fertig ist, ist der Applaus lang. Für seinen Vortrag bekommt er kein Honorar, dafür aber ein Geschenk von Geschäftsführer Wenzler. Es ist ein Bucerius-Schal in Rot und Dunkelblau, denn die Krawatte hat er ja schon. Und wer will, kann da auch etwas hineininterpretieren. Ein anderer prominenter Träger des Bucerius-Schlips ist nicht nur ein Förderer Steinbrücks, sondern auch dessen Vorbild: Es ist Helmut Schmidt.