Innenminister Friedrich trifft sich mit Vertretern der Länder, der Kommunen aus Wirtschaft und Gesellschaft. Kritiker bemängeln Tatenlosigkeit der Regierung

Berlin. Es ist eine Mammutaufgabe, die aus Sicht der Bundesregierung nur mit möglichst vielen Akteuren zu lösen sein wird: der demografische Wandel. Die Deutschen werden immer weniger und immer älter. Ihre Zahl sinkt von derzeit 81,8 Millionen auf 65 bis 70 Millionen im Jahr 2060, schätzt die Bundesregierung in ihrem Demografiebericht. Zugleich steigt die Zahl der Älteren drastisch. Ein von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ausgerichteter Demografiegipfel soll heute Strategien zum Umgang mit einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft finden.

Neben weiteren Ressorts wie dem Bundesfamilien- und Bundesarbeitsministerium nehmen Vertreter der Länder und Kommunen, aus Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft an dem Treffen teil. In verschiedenen Arbeitsgruppen - etwa im Bereich der Familie, dem selbst bestimmten Leben im Alter oder der ländlichen Entwicklung - sollen Arbeitsprogramme entwickelt werden. Erste Ergebnisse gibt es dann im Frühjahr auf einem zweiten Gipfel. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den demografischen Wandel zur "Chefinnensache" erklärt, dies sei eines der wichtigsten Themen der kommenden Jahre.

Im April hatte das Bundeskabinett eine Demografiestrategie verabschiedet. Das Ziel: Wachstum und Wohlstand in Deutschland trotz der alternden und schrumpfenden Bevölkerung zu erhalten. Friedrich betonte, der demografische Wandel müsse als Chance begriffen werden, etwa für eine Modernisierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts. Derzeit sind es freilich die negativen Seiten des demografischen Wandels, die die öffentliche Wahrnehmung dominieren: der wachsende Druck auf die Rentenversicherung, der Fachkräftemangel in der Pflege, die verödenden ländlichen Regionen.

Kritikern geht die Strategie ohnehin nicht weit genug. Tatsächlich listet das Papier vor allem auf, was bereits für Maßnahmen beschlossen wurden: Darunter zum Beispiel der Ausbau der Kinderbetreuung, die Zuschussrente, die Familienpflegezeit und die Anwerbung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, sagte: "Wer die Probleme im Zusammenhang mit der Alterung der Gesellschaft strategisch angehen will, muss zuallererst für gute Arbeit und sichere Renten sorgen." Die Diskussion müsse "ernsthaft geführt werden und dürfe nicht auf eine Show-Veranstaltung hinauslaufen". Sommer forderte: "Wir brauchen keine Scheindebatten, stattdessen müssen alle Fakten und Argumente auf den Tisch." Und Tabea Rößner, die Sprecherin der Grünenfraktion im Bundestag für Demografiepolitik, sieht dringenden Handlungsbedarf in der Arbeits-, Pflege- und Gesundheitspolitik. "Aber das verschleppt die Bundesregierung. Mit Papieren, Konferenzen oder Gipfeln wird kein Pflegebedürftiger versorgt."

Der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Reiner Klingholz, fordert eine klare Analyse der Lage angesichts der alternden und schrumpfenden Gesellschaft sowie realistische Zielvorgaben, wo es hingehen solle. Die Demografiestrategie als "Sammelsurium von Programmen und Progrämmchen, die es schon gibt", reiche da nicht aus. "Wir müssen uns zum Beispiel fragen, mit wie vielen Menschen wir den Laden hier betreiben wollen, welche Altersstruktur die Bevölkerung, welche die Belegschaft haben soll", sagt Klingholz. Zuwanderung, Bildung und eine funktionierende Familienpolitik seien daher zentrale Themen. Aus Sicht des Bevölkerungsforschers muss auch Abschied von der Idee genommen werden, dass ein Wirtschaftswachstum immer möglich ist.

Obwohl der demografische Wandel ein zentrales Thema der Politik sein soll, hat der Gipfel dort bisher nicht viel Niederschlag gefunden. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) brachte ihre Großelternzeit voran, die bereits in der Demografiestrategie angekündigt war. Aus der Unionsfraktion kam ein Positionspapier, nach dem Eltern im öffentlichen Dienst bevorzugt werden sollen. Ein "Familien-TÜV" soll außerdem alle Gesetze künftig auf ihre Familienfreundlichkeit hin prüfen. Für Klingholz passt das ins Bild: "Ich rechne mit nichts", sagt er, was Ergebnisse des Gipfels betrifft.