22 Jahre nach der Einheit liegt noch manches im Argen. Aber im Osten ist nicht alles schlecht. Städte wie Dresden zeugen von Erfolgen.

Berlin. Auch 22 Jahre nach der Einheit hängt der Osten hinter dem West weit zurück bei Wachstum, Arbeitsplätzen, Löhnen und Kaufkraft. Das war die Botschaft des "Jahresberichts der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2012" in der vergangenen Woche. Aber im Osten ist nicht alles schlecht. Es sind nicht nur Städte wie Dresden, die frisch restauriert in neuem Glanz erstrahlen. Die sächsische Landeshauptstadt ist auch ein Forschungs- und Technologiezentrum. Der Bericht selbst warnt vor "Durchschnittsbetrachtungen zwischen Ost und West". So ist die Arbeitslosenquote im Osten insgesamt zwar immer noch doppelt so hoch wie im Westen, doch einzelne Bundesländer wie Thüringen liegen nur noch knapp hinter Nordrhein-Westfalen. Schlichte Ost-West-Vergleiche übersehen die "regionale Heterogenität im Osten", warnt Marcel Thum, Chef der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts. Und abgesehen davon, gibt es sogar Bereiche, in denen der Osten vorne liegt und der Westen hinterherhinkt. Wir stellen fünf Erfolgsgeschichten aus dem Osten vor.

Frauenerwerbstätigkeit: Hier hat der Osten einen eindeutigen Vorsprung. Die ostdeutschen Frauen arbeiten mehr und länger als die Westdeutschen. Im Osten liegt die Frauenerwerbstätigkeit bei 70,8 Prozent, verglichen mit 69,2 Prozent im Westen. Und während im Osten zwei Drittel der Frauen Vollzeit arbeiten, ist es im Westen gerade einmal die Hälfte. Die ostdeutschen Arbeitnehmerinnen kommen so auf 33,5 Stunden die Woche, die westdeutschen nur auf 29,3 Stunden. "Während in Westdeutschland Erwerbsbiografien mit längeren familienbedingten Pausen und anschließender Berufsrückkehr häufig in Teilzeit dominieren, sind Frauen in Ostdeutschland nach kurzer Familienpause wieder Vollzeit erwerbstätig", erklärt der Einheitsbericht. Allerdings haben es Frauen im Osten auch leichter, Job und Familie unter einen Hut zu bringen. Sie finden leichter eine Kinderbetreuung. In Ostdeutschland wird fast jedes zweite Kind in einer Kindertagesstätte oder durch eine Tagespflegeperson betreut, in Westdeutschland nur jedes fünfte Kind. Der Westen nimmt sich nun den Osten zum Vorbild und forciert den Krippenausbau. Angesichts des demografischen Wandels lässt sich die künftig drohende Arbeitskräftelücke nur schließen, wenn mehr Frauen arbeiten.

Forschung und Entwicklung: Bei der Triebfeder für Wachstum liegt der Osten auf dem ersten Blick weit zurück. Die großen Konzernzentralen mit ihren Forschungseinrichtungen liegen alle im Westen, deshalb sind die finanziellen Aufwendungen und auch die Zahl der Beschäftigten im Forschungsbereich im Osten viel geringer als im Westen. Für die Wirtschaft ist im Osten allerdings der Staat eingesprungen. Seit der Wiedervereinigung ist ein dichtes Netz von Forschungs- und Bildungseinrichtungen entstanden. Der Osten zählt 30 Universitäten, 55 Fachhochschulen und fast 200 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Die TU Dresden schaffte in diesem Jahr den Sprung in den illustren Kreis der "Elite-Universitäten", die vom Bund speziell gefördert werden. Die kleinteilige ostdeutsche Wirtschaft machte aus der Not eine Tugend und arbeitet in Clustern, Netzwerken und Verbünden eng mit Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammen. 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen im Osten jetzt in die Forschung. Das ist zwar weniger als in Westdeutschland mit 2,9 Prozent, aber doch deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 2,1 Prozent.

Industrie: Auch sie ist im Osten besser als ihr Ruf. Zwar liegt die Produktivität unter West-Niveau aber die Löhne eben auch. So ist die ostdeutsche Industrie wettbewerbsfähiger als die westdeutsche, ihre Lohnstückkosten sind elf Prozent niedriger als im Westen. "Die Industrie hat ihre Hausaufgaben gemacht", sagt Brigitte Loose vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Die Exportquote liegt heute bei 34 Prozent und damit auf dem Niveau von Westdeutschland im Jahr 1998. Tatsächlich dürfte die Quote sogar noch höher sein. Denn viele Produkte gehen als Vorleistungsgüter nach Westdeutschland und werden dort für den Export montiert. In der letzten Krise hat sich die stärkere Binnenmarktorientierung der ostdeutschen Wirtschaft sogar als Vorteil erwiesen. Während im Westen Produktion und Export einbrachen, kam der Osten vergleichsweise glimpflich davon.

Finanzen: Während in Westdeutschland etliche Kommunen praktisch pleite sind und zahlreiche Bundesländer vor der Schuldenbremse zittern, können die ostdeutschen Länder und Kommunen vergleichsweise solide Finanzen vorweisen. Das liegt natürlich auch an den milliardenschweren Überweisungen aus dem Westen: Im Solidarpakt II von 2005 bis 2019 erhalten die ostdeutschen Länder mehr als 100 Milliarden Euro, der Bund steckt noch einmal 51 Milliarden in den Aufbau Ost. Aber die Ostdeutschen haben mit dem Geld auch gut gewirtschaftet: Länder und Kommunen konnten in den Jahren 2006 bis 2009 Haushaltsüberschüsse erzielen, nur im Krisenjahr 2010 gab es ein leichtes Defizit. "Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Konsolidierung war eine maßvolle Ausgabenpolitik", stellt der Einheitsbericht fest. Die Ausgaben wuchsen lediglich um 0,2 Prozent im Jahr. Jeder Einwohner in Ostdeutschland ist "nur" mit 6316 Euro verschuldet, in den westdeutschen Vergleichsländern Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein sind es 8511 Euro je Einwohner. Die Schulden im Westen wurden über Jahrzehnte angehäuft. "Vielleicht", sagt Ifo-Experte Thum, "hatten die Ostdeutschen auch einfach nicht die Zeit, sich so stark zu verschulden."

Bundeswehr: Als größtes Manko der ostdeutschen Wirtschaft gilt das Fehlen der großen Konzernzentralen. Von den 30 DAX-Konzernen hat kein einziger seinen Sitz in Ostdeutschland. Es gibt allerdings ein "Großunternehmen", das von hier aus geleitet wird: die Bundeswehr. Von den fünf Standorten der militärischen Führungskommandos liegen drei im Osten: Das Kommando des Heeres hat seine Arbeit in Strausberg aufgenommen, zugleich mit dem Kommando Luftwaffe in Berlin-Gatow und dem Marinekommando in Rostock. Weitere wichtige Kommandos der Bundeswehr im Osten sind das Einsatzführungskommando in Potsdam und das neue Logistikkommando in Erfurt. Hinzu kommt das Planungsamt in Berlin-Köpenick, das die Zukunft der Streitkräfte mitbestimmt, wie der Einheitsbericht der Regierung vermerkt. Auch bei der Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer Berufsarmee, die mit vielen Standortschließungen verbunden ist, ist der Osten Deutschlands glimpflich weggekommen: "Nur ein kleiner Teil der zu schließenden Liegenschaften liegt in den neuen Bundesländern", heißt es im Einheitsbericht.