Altbundeskanzler Helmut Schmidt und Bundespräsident Joachim Gauck diskutierten gestern in Berlin über Schuldenkrise und EU.

Berlin. "Warum noch an Europa glauben?" Das war die Frage, die Maybrit Illner gestern in ihrer nächtlichen Talkshow Altbundeskanzler Helmut Schmidt und Bundespräsident Joachim Gauck stellte. Die Frage setzte voraus, dass diese beiden Staatsmänner ihren Glauben an Europa nicht verloren haben, und damit lag Illner vollkommen richtig. Auch wenn es, wie Schmidt formulierte, "gewaltiger Anstrengung" bedürfe, "aus diesem Sumpf wieder herauszukommen", in den der alte Kontinent durch die Schuldenkrise geraten sei. Gauck sprach von "einigen Spielern", die die Krise verursacht hätten, und formulierte es dann so: "Wir müssen den Missbrauch bekämpfen, so wie wir Doping im Sport bekämpfen, ohne den Sport abzuschaffen."

Ausnahmsweise hatte das ZDF die Gesprächsrunde aus der Zentrale in Berlin-Mitte ins "Radialsystem" am Osthafen verlegt - gewissermaßen als Signal an ein junges, überwiegend aus Schülern und Studenten bestehendes Publikum, dem es ja aufgegeben ist, den europäischen Gedanken in der Zukunft hochzuhalten

Und in dieser Zukunft kann es ja schwierig werden. Während Schmidt und Gauck unisono darauf hinwiesen, dass die Schuldenkrise Deutschland bislang noch kein Geld gekostet habe - Schmidt: "Wir haben noch keinen Pfennig in Griechenland!" -, gab sich der Bundespräsident überzeugt, dass Europa auch mal eine "Wohlstandsdelle" aushalten könne. Die Summen, für die Deutschland bürge, seien "noch vertretbar, noch sind wir nicht überfordert". Im Übrigen gehöre das Eingehen von Risiken zum Leben dazu, und zwar auch im politischen, monetären Bereich.

Gauck erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 "eine Schrottwährung eins zu eins umgetauscht" habe. Helmut Schmidt nannte das Zehn-Punkte-Programm Helmut Kohls vom November 1989 die "Meisterleistung" im Vorfeld der Wiedervereinigung, die bis heute spätere Fehler aufwiege. Sogar "Versäumnisse im Maastricht-Vertrag", denn 1992 sei Kohl noch völlig mit der deutschen Einheit beschäftigt gewesen. Trotz dieser Versäumnisse, darin waren sich beide Politiker einig, sei und bleibe Europa "der lebenswerteste Raum, den es gibt". Gauck fügte hinzu, das wüssten die Bürger Europas. Denen traue er "ganz viel zu". Dieses Bekenntnis quittierte Helmut Schmidt mit dem trockenen Satz: "Ich möchte wünschen, dass der Bundespräsident recht behält."

Einen Seitenhieb auf die CDU-Bundeskanzlerin wollte sich der mittlerweile fast schon zu einer SPD-Ikone avancierte 93-Jährige nicht verkneifen. Dass Angela Merkel in Griechenland auf Fotos und Karikaturen mit Hakenkreuz-Armbinde dargestellt werde, sei "zum Teil ihre eigene Schuld". Schmidt warnte die Bundesregierung davor, zu dominant aufzutreten. In Europa sei noch nicht vergessen, wer den Zweiten Weltkrieg ausgelöst und den Holocaust verantwortet habe: "Die Deutschen müssen den Eindruck vermeiden, als ob sie das Zentrum Europas sein wollten!"

Dem widersprach Joachim Gauck mit den Worten, Deutschland sei ja "nicht mehr auf der Flucht vor der Wahrheit". Ganz im Gegenteil. Es habe sich intensiv mit seiner Schuld auseinandergesetzt, und daraus resultiere nun ein modernes Selbstbewusstsein. Angela Merkel sei auch mitnichten eine geschichtsvergessene Regierungschefin. Die Debatte, die die Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene um Schuldensenkungen und Haushaltsdisziplin führe, führe sie vielmehr auch stellvertretend für benachbarte Nationen. Gauck nannte in diesem Zusammenhang als Beispiele explizit Polen, Tschechien und Estland. In Tschechien, das sei auch Teil der Wahrheit, seien die Renten niedriger als in Griechenland. Deutschland wolle Europa gestalten. "Und deshalb sollten wir Deutschen wirklich die Allerletzten sein, die das Projekt Europa aufgeben."

Skeptisch zeigte sich Gauck, was die auf EU-Ebene debattierte Einschränkung nationaler Rechte in der Fiskalpolitik anbetrifft. Die scheine ihm zurzeit unmöglich zu sein, sagte der 72-Jährige, denn der müsse in Deutschland eine Verfassungsänderung vorausgehen.