Eine unterforderte Bundeskanzlerin lässt im Gorleben-Untersuchungsausschuss alle Angriffe der Opposition abperlen.

Berlin. Normalerweise kann Parlamentariern kann kaum etwas Besseres passieren als ein Untersuchungsausschuss mit prominenten Zeugen. Hier können die Abgeordneten der Regierung endlich einmal die Initiative entwinden, Schwächen bloßstellen und eigenen Fleiß oder Intelligenz vor einem großen Publikum entfalten. Auf einen guten Auftritt im Untersuchungsausschuss kann man beinahe eine Karriere gründen: So gewann Otto Schily Anfang der 80er-Jahre bei den Grünen erst Respekt, als er im Parlament die Spendenaffäre von Union, FDP und SPD anging. Die junge Abgeordnete Kristina Köhler, heute Ministerin Schröder, profilierte sich zu Zeiten der Großen Koalition, als sie sich in der Kurnaz-Affäre geradezu leidenschaftlich in den damaligen SPD-Außenminister und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier verbiss. Im aktuellen Untersuchungsausschuss zur Nazi-Terrorzelle NSU fällt vielen Beobachtern die SPD-Abgeordnete Eva Högl auf.

Daran dachte der Betrachter bei Angela Merkels Auftritt vor dem sogenannten Gorleben-Untersuchungsausschuss gestern durchaus wehmütig. Denn die Art und Weise, wie die Kanzlerin vor diesem Gremium unterfordert wurde, schmerzte. Man fragte sich, warum Union und FDP mit ihrer Mehrheit im Ausschuss eine Live-Übertragung im Fernsehen verhindert hatten. So deutlich sind die Dominanz der Exekutive in unserem politischen System und auch das handwerkliche Gefälle zwischen der Bundeskanzlerin und den doch auch zu ihrer Kontrolle bestellten Parlamentariern vielleicht noch nie dokumentiert worden.

Dabei gab sie nicht über ihre Arbeit als Bundeskanzlerin Auskunft, sondern wurde zu ihrer Amtszeit als Umweltministerin von 1994 bis 1998 befragt. In dieser Zeit hatte sie die Erkundung des potenziellen Endlagers im mittlerweile berühmten niedersächsischen Ort vorangetrieben. Eine Studie zu alternativen Standorten sei von ihr einseitig bewertet worden. Darauf hatte die Opposition schon im Vorfeld den Vorwurf der "Lüge" gegründet, den Merkel selbstverständlich zurückwies.

Bevor dies zur Sprache kam, wurde jedoch viel Zeit mit nur notdürftig in Fragen gekleideten Ergebenheitsadressen vertan. Vor allem der Obmann von CDU/CSU, Reinhard Grindel, trat ganz offen als Parteimann an - und Fan seiner Kanzlerin. "Fürsorge" treibe ihn an, gestand er nach einer Reihe von Gefälligkeitsfragen in der Antwort auf eine Klage der Opposition offen ein. Aber auch der junge FDP-Abgeordnete Marco Buschmann schlug die Gelegenheit, eigenständiges liberales Profil gegenüber der Unionskanzlerin zu gewinnen, aus, und stellte lieber Schmunzelfragen: "Wie würden Sie denn die Aussage dieses SPD-Staatssekretärs bewerten, so perfekt wie Sie heute sind?"

Damit griff er einen Dialog auf, mit dem die Kanzlerin früh den ersten Punktsieg gegenüber den Abgeordneten markiert hatte. Ute Vogt, die Obfrau der SPD, hielt Merkel eine Presseerklärung aus dem Jahr 1995 vor: Sie habe zur Untersuchung möglicher anderer Standorte behauptet, keiner sei besser geeignet als Gorleben. Vogt: "Sie haben die Ergebnisse des Gutachtens bewusst wahrheitswidrig dargestellt, um politisch Ruhe zu bekommen!"

Merkel verneint und sagt: "Gorleben hat sich nicht als nicht geeignet erwiesen." Vogt: "Warum haben Sie das denn damals nicht so gesagt wie heute?" Merkel trocken: "Weil ich damals nicht so perfekt war wie heute."

Der Rest geht in Gelächter unter. Zu spät findet Vogt doch noch eine Replik: "Dazu muss man nicht perfekt sein, sondern einfach aufrichtig." Tatsächlich ist der Vorgang läppisch. Jeder weiß, dass die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung auf das Endlager in Gorleben setzte. Jeder weiß, dass Rot-Grün das Endlager verhindern wollte. Jeder weiß, dass der Kampf darum auch mit Interpretationen wissenschaftlicher Ergebnisse ausgefochten wurde. Während das Regierungslager erkennbar kein Interesse an objektiver Wahrheitsfindung hat, arbeiten sich die Oppositionsabgeordneten an ihrem zu hoch gegriffenen Lügenvorwurf ab. Dies geschieht teilweise mit unbegreiflicher Unprofessionalität. So will die Linke ein Radiointerview Merkels aus diesen Jahren vorspielen, hat aber vergessen, dies rechtzeitig bei der Ausschussvorsitzenden Maria Flachsbarth anzumelden. Nun dauert es über eine Stunde, bis die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Als das lang erwartete Tondokument endlich doch zu hören ist, entpuppt es sich als ein Satz, mit dem Vogt Merkel schon längst konfrontiert hatte. Erkennbar hat sich die Opposition im Vorfeld nicht auf eine gemeinsame Strategie verständigt. Den beiden grünen Abgeordneten im Ausschuss, Silvia Kotting-Uhl und Dorothea Steiner, gelingt es noch mit vielen Nachfragen am ehesten, Merkel zu fordern. Doch die ist so sehr Chefin im Ring, dass sie kaum widersprochen die Regeln politischer Kommunikation umwirft: Als ihr übereinstimmende Zitate aus "Welt" und "Frankfurter Rundschau" vorgehalten werden, verweist sie auf eine am gleichen Tag herausgegebene Pressemitteilung des Ministeriums und kommt damit tatsächlich durch.

Die Zeugin Merkel übernimmt zeitweise selbst die Regie, stellt - obwohl doch zur Befragung einbestellt - plötzlich selbst rhetorische Fragen. Als die ihre Vorsitzendenrolle nur schüchtern ausfüllende Flachsbarth nach stundenlanger Sitzung anbietet, eine Pause zu machen, antwortet Merkel, die brauche sie nicht. Der Ausschuss macht ohne Pause weiter. Am Ende formulieren die Grünen den Vorwurf der Lüge nur noch kleinlaut: "Ich entscheide mich dafür, Ihnen die Unwahrheit zu unterstellen." Das ist Merkel nicht einmal eine Antwort wert. Ohne weitere Höhepunkte geht die Sitzung zu Ende. Heute tagt der NSU-Untersuchungsausschuss und hat Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) geladen. Es kann nur besser werden.