Nach von der Leyens Debakel arbeiten jetzt die Parteivorsitzenden an neuem Konzept. Taskforce soll ab Oktober arbeiten - Frauen könnten profitieren.

Berlin. Nachdem Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihrem Vorstoß zur Einführung einer Zuschussrente Schiffbruch erlitten hat, wollen nun die Parteivorsitzenden der Koalition die Sache selbst in die Hand nehmen und zunächst eine Grundsatzentscheidung darüber treffen, wie die angekündigte Rentenreform aussehen soll. Die Reform wird zur Chefsache. Nach Informationen der "Welt" soll dann Mitte Oktober eine Arbeitsgruppe aus Experten von CDU, CSU und FDP gebildet werden, die sich in Abstimmung mit dem Ministerium um die konkrete Ausgestaltung kümmern soll.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Frauen zu den Gewinnern der Reform zählen werden. Die Union will für künftige Rentnerinnen, die vor 1992 ihre Kinder geboren haben, die Anrechnung der Erziehungszeiten verbessern. Dies ist ein Herzensanliegen der Frauen-Union. Und auch die FDP zeigt sich an dieser Stelle beweglich. Bislang werden für später geborene Kinder drei Erziehungsjahre bei der Rente anerkannt. Ältere Mütter bekommen hingegen nur ein Jahr gutgeschrieben. Weil eine Gleichbehandlung aller Eltern zu teuer würde, plädiert die Union für einen Kompromiss: So sollen für Mütter, die ab kommendem Jahr in den Ruhestand gehen und vor 1992 Kinder erzogen haben, zwei Jahre bei der Rente berücksichtigt werden. Die Kosten würden zunächst nur 100 Millionen betragen, aber bis 2030 auf 3,5 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen. Vorteil aus Sicht der FDP ist, dass der Bund mit Steuermitteln voll für die Anrechnung der Erziehungszeiten aufkommt, die Beitragszahler somit nicht belastet würden.

"Akuten Handlungsbedarf" sieht der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der Unionsfraktion, Peter Weiß, zudem bei der Erwerbsminderungsrente. "9,6 Prozent der Bezieher von Erwerbsminderungsrenten fallen heute direkt in die Grundsicherung, bei den normalen Altersrenten sind es dagegen nur 1,8 Prozent", sagt der CDU-Rentenexperte. Der Anteil der Fürsorgeempfänger unter den Erwerbsminderungsrentnern steige zudem dramatisch an. "Wer über Altersarmut redet, muss hier handeln", sagt Weiß. Die Union wolle, dass die Zurechnungszeiten um zwei Jahre verlängert werden und eine Höherbewertung, falls die Betroffenen zum Ende ihres Berufslebens, etwa wegen Krankheit, bereits weniger verdient haben als zuvor. Unstrittig ist zwischen den Koalitionspartnern zudem, dass Frührentner künftig mehr als bislang anrechnungsfrei hinzuverdienen dürfen.

Auch die von Ursula von der Leyen angekündigte Versicherungspflicht für Selbstständige gilt in der Union als wesentlicher Bestandteil einer Rentenreform. Zwar gibt es in der Wirtschaft Widerstände gegen eine Vorsorgepflicht. Allerdings sind die großen Verbände zufrieden, dass die Selbstständigen nicht in die gesetzliche Rentenversicherung gezwungen werden sollen, wie dies die Opposition verlangt.

FDP-Fraktionsvizechef Heinrich Kolb ist gleichfalls für die Versicherungspflicht, zumal sie den Selbstständigen die Wahl lasse, wie sie für das Alter vorsorgen wollen. "Auch die Versicherungspflicht dient dazu, Altersarmut zu verhindern", sagt der Liberale. Allerdings liegt der Teufel im Detail. So ist strittig, ob auch Immobilien als Vorsorge anerkannt werden können. Außerdem ist unklar, welche monatlichen Beträge Selbstständige mit geringen Einkommen zahlen sollen. "Doch der Drang ist groß, die Versicherungspflicht für Selbstständige noch in dieser Legislaturperiode zu regeln", sagt der sozialpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Max Straubinger. Zumal man bei Union und FDP weiß, dass es bei jeder anderen künftigen Koalition zu einem Zwang der Selbstständigen in die Rentenversicherung kommen würde.

Völlig offen ist derzeit noch, auf welches Konzept die Union im Kampf gegen Altersarmut setzt. Ursula von der Leyens Vorstoß, niedrige Renten von langfristig Versicherten auf 850 Euro aufzustocken, hat innerhalb der eigenen Reihen keine Anhänger. Während die Ministerin dennoch hofft, ihre Zuschussrente in irgendeiner Form ins Rentenpaket retten zu können, suchen die Experten bereits nach Alternativen. So wird über eine Wiederbelebung der Rente nach Mindesteinkommen genauso debattiert wie über einen finanziellen Bonus bei der Grundsicherung für solche Rentner, die lange Versicherungszeiten vorweisen können. "Beide Vorschläge sind extrem teuer", moniert allerdings FDP-Rentenpolitiker Kolb.

Noch viel teurer würde allerdings eine Umsetzung des derzeitigen SPD-Rentenkonzepts werden. Nach Schätzung von Experten dürften die Pläne der Sozialdemokraten zu zusätzlichen Ausgaben von mindestens 30 Milliarden Euro im Jahr führen. Die SPD will eine Solidarrente gegen die Altersarmut einführen, den Rentenzugang und die Voraussetzungen für die Erwerbsminderungsrente erleichtern sowie die betriebliche Altersversorgung ausbauen.

Für den erleichterten Rentenzugang fallen im Jahr 2030 Kosten von 5,4 Milliarden Euro an. Wer 45 Versicherungsjahre aufweist, soll danach schon vor dem 65. Lebensjahr ohne Einbußen in Rente gehen können. "Die Kosten für den erleichterten Rentenzugang machen die Einsparungen durch die Rente mit 67 fast vollständig wieder zunichte", sagte Alexander Gunkel, der von den Arbeitgebern entsandte alternierende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV), der "Welt". Jeder zweite Mann würde von dieser Regelung profitieren und praktisch von der Rente mit 67 ausgenommen, warnt Gunkel.

Hinzu kommen 7,7 Milliarden Euro für die Ausweitung der Erwerbsminderungsrente. So sollen Bezieher unter anderem ohne Abschläge in Rente gehen können. Rund sechs Milliarden Euro dürfte der Ausbau der betrieblichen Altersversorgung kosten. Die geplante "Betriebsrente Plus" ist nicht nur teuer, sondern auch "in sich nicht stimmig", kritisiert Gunkel. "In die neue Betriebsrente soll der Arbeitnehmer zwei Prozent seines Bruttolohns einzahlen. Der Staat fördert dies mit 400 Euro im Jahr", erklärt der Arbeitgebervertreter. "Für die Riester-Rente müssen Arbeitnehmer dagegen für die volle Zulage vier Prozent ihres Bruttolohns einzahlen, die Förderung beträgt aber nur 154 Euro und damit nicht einmal die Hälfte der geplanten Förderung bei der Betriebsrente." Teuer wird auch die neue "Solidarrente" für Geringverdiener, die Antwort der Sozialdemokraten auf die Zuschussrente von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Wie die CDU-Politikerin will auch die SPD Geringverdienern eine Mindestrente von 850 Euro zusagen, aber bereits nach 30 Jahren Beitrags- beziehungsweise 40 Versicherungsjahren.

"Legt man die bislang vorgeschlagene Ausgestaltung zugrunde, würde sie in jedem Fall sehr viel teurer werden als die Zuschussrente", sagt Gunkel. Für die Zuschussrente sind rund 3,5 Milliarden Euro veranschlagt. Die Solidarrente könnte hingegen bis zu zehn Milliarden Euro kosten, schätzt Gunkel. Die Ausgaben summieren sich nach dieser Rechnung auf nahezu 30 Milliarden Euro. Kommen noch Verbesserungen bei der Anerkennung von Kindererziehungszeiten hinzu, wie sie die SPD ebenfalls geplant hat, dann liegen die Kosten bei 37 Milliarden Euro.