Die Union ehrt Helmut Kohl, der vor 30 Jahren Kanzler wurde. Der 82-Jährige nennt sie seine Heimat und ruft zum Einsatz für Europa auf

Berlin. Am Vorstandstisch im Saal der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sitzt normalerweise die Bundeskanzlerin neben dem Fraktionschef Volker Kauder, dem Mann mit der großen Messingglocke. Gestern Nachmittag rückten beide auseinander, um Helmut Kohl in ihre Mitte zu nehmen. Der 82-Jährige kam im Rollstuhl und in Begleitung seiner Frau Maike in den Sitzungssaal der Union im Reichstagsgebäude. Die Fraktion würdigte ihn für seine 16-jährige Kanzlerschaft, die am 1. Oktober vor 30 Jahren begann und mit dem Wechsel zu Rot-Grün 1998 endete.

Der langjährige Kanzler und Parteichef hatte eine leuchtend gelbe Krawatte zu einem dunkelblauen Hemd gewählt. Als Kanzler hatte er stets nur Weiß unter dem Anzug getragen. Jetzt bevorzugte er die FDP-Farben. Darin lag seitens des lebenslangen FDP-Verbündeten womöglich eine Botschaft an die Abgeordneten: Lasst diese Regierung nicht an Dingen scheitern, die man letztlich auch anders organisieren kann als mit dem Kopf durch die Wand.

Im Sommer 2002 war er zum letzten Mal in der Fraktion gewesen, bevor er als aktiver Abgeordneter ausgeschied. Nun sagte er hier bewegt die Sätze: "Hier ist meine Heimat. Hier bin ich zu Hause." Kohl sprach zehn Minuten lang und gab ein leidenschaftliches Bekenntnis zu Europa ab: "Wir müssen Europa erhalten und weiter ausbauen." Er mahnte, Europa müsse zusammenstehen, um die Krise zu bewältigen. Und er betonte, Europa sei Deutschlands Zukunft.

Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte Kohl auf dem Podium. Ihr Verhältnis zu Kohl gilt seit der CDU-Spendenaffäre 1999 als zerrüttet. Kohl hatte am Gesetz vorbei Geld für die Partei angenommen und die Namen der Spender - bis heute - nicht preisgegeben. Merkel forderte die Partei damals als Generalsekretärin auf, sich von Kohl zu lösen. Zwar gab es mittlerweile mehrere Ehrungen für Kohl - den Fraktionssaal der Union hat er aber seit zehn Jahren nicht mehr besucht. Gestern um 16.30 Uhr änderte sich das. Sein Erscheinen dort war der vorletzte Schritt zur vollständigen Rehabilitierung der Partei-Ikone.

Die Kabinettsmitglieder Angela Merkels saßen nicht mit am Vorstandstisch, sondern in den Reihen ihrer jeweiligen Landesgruppen. In die Fraktion kommen sie ohne protokollarische Sonderstellung. In der Landesgruppe Baden-Württemberg blieb ein Platz leer. Finanzminister Wolfgang Schäuble fehlte. Der Grund war kein fortdauernder oder neuer Streit mit Kohl, wie aus entsprechendem Kreis versichert wurde. Schäubles Abwesenheit hing mit dem Management des zweiten großen Kohl-Erbes neben der staatlichen deutschen Einheit zusammen, dem Euro. Schäuble war nach Finnland zu einem Treffen mit dem finnischen und dem niederländischen Finanzminister geflogen. Die griechischen Probleme und die Vorbereitung der beiden EU-Herbstgipfel im Oktober und November forderten ihren Tribut.

Fraktionschef Volker Kauder sprach wie Kohl ohne Manuskript. Kauder war im Dezember 1990 ins Parlament gekommen, bei der Bundestagswahl, die zwei Monate nach der deutschen Einheit stattfand. Er hat praktisch alle prägenden ersten Stationen seiner Laufbahn unter Kohl absolviert, ebenso wie Merkel. Kauder dankte in seinen Einführungsworten Maike Kohl-Richter dafür, dass sie immer den Kontakt gehalten habe. Er sagte vor den Abgeordneten an Kohl gerichtet: "Sie gehören ganz fest in unsere Mitte." CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sprach von einem "sehr bewegenden Besuch". Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sprach von einem Glücksgefühl, Kohl wieder vor der Fraktion zu sehen. "Ich weiß, was er für unser Land getan hat und für Europa. Das sind historische Leistungen." An die Spendenaffäre denke er nicht, sagte Jung. Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler meinte, die CDU habe Kohl in der Spendenaffäre "zu hart behandelt". Da sei viel Heuchelei im Spiel gewesen.

Nach 20 Minuten schloss er die Fraktionssitzung, auf der sich vor Kohls Ankunft die Abgeordneten der Tagespolitik gewidmet hatten. Der Tagesordnungspunkt Helmut Kohl dauerte somit zehn Minuten weniger als ursprünglich angesetzt. Angela Merkel verzichtete auf eine längere Wortmeldung. Sie wird morgen Abend beim Festakt im Deutschen Historischen Museum die Hauptrede halten.

Im Anschluss an den Auftritt im Fraktionssaal gab es einen Empfang im Festsaal des Reichstagsgebäudes. Er wurde auf Kohls Wunsch so zwanglos wie möglich gehalten. Kohl wollte dort vor allem diejenigen Abgeordneten kennenlernen, die seit seinem eigenen Ausscheiden aus dem Parlament dort ein Mandat erhalten haben.

Persönliche Gespräche in einem wechselnden kleinen Kreis, so hatte sich der Altkanzler die Rückkehr in eine Fraktion vorgestellt, die zu mindestens einem Drittel inzwischen aus Politikern der Nach-Kohl-Zeit besteht. So kam es dann auch.