Die FDP blockiert einen Kompromiss beim Betreuungsgeld und treibt den Preis für ihre Zustimmung hoch

Berlin. Das sicherste Indiz für eine ernste Krise ist das Schweigen. Wenn der sonst so redselige Schwarm aus Abgeordneten auf einmal nichts mehr zu einem Thema sagen will und nur noch die Chefs vor die Mikros und Kameras treten, um über den neuesten Stand zu informieren. Wenn hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird.

Zu einer solchen Krise der schwarz-gelben Koalition hat jetzt das Betreuungsgeld geführt. Es geht dabei nicht mehr um die grundsätzliche Frage, wie sinnvoll die geplante Zahlung für Eltern ist, die ihre Kleinkinder nicht in einer Kita bringen, sondern selbst betreuen. Es geht auch nicht mehr nur darum, wie das Gesetz konkret ausgestaltet werden soll. Es geht um eine gewaltiges Kommunikationsdesaster - und die verletzten Eitelkeiten der FDP.

Dabei schien am Freitag alles perfekt. CDU und CSU hatten sich auf einen Kompromiss geeinigt: Um auf die zahlreichen Kritiker einzugehen, sollte die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen zur Bedingung werden. Zudem wollte man Eltern die Möglichkeit einräumen, das Geld in einer Riester- oder Rürup-Rente einzuzahlen - dann hätte es statt 150 sogar 165 Euro monatlich gegeben. Die Mehrkosten von bis zu 15 Millionen Euro sollten dadurch kompensiert werden, dass Betreuungsgeld und Elterngeld nicht doppelt bezogen werden können. In den sogenannten Vätermonaten wäre dies nach dem bisherigen Modell möglich gewesen.

Während die Unionsführung den Ball flach hielt und erst mit der FDP über die Vorschläge reden wollte, jubelten einige Abgeordnete etwas zu laut über die Einigung. Sie fand den Weg in die Zeitungen. Und die Liberalen fühlten sich brüskiert.

Vielleicht auch des Effektes wegen warteten sie bis Montag, um die Bombe platzen zu lassen: Das FDP-Präsidium lehnte den Vorschlag der Union ab. Haushaltsexperte Jürgen Koppelin sprach gestern im ARD-"Morgenmagazin" dann von einem "Affront". Es könne nicht sein, dass die Union die FDP "vor vollendete Tatsachen" stelle.

Das Ergebnis: Das Betreuungsgeld kann anders als geplant heute nicht den Familienausschuss passieren und nicht am 18. Oktober in dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet werden. Der gesamte Zeitplan ist durcheinandergewirbelt. Der zähe Streit geht vorerst weiter - und ein tiefer Riss durch die Koalition. CSU-Chef Horst Seehofer, treibende Kraft hinter dem Betreuungsgeld, verkündete, es sei nun "hohes Maß an Geduld" erforderlich. Er könne nicht sagen, "wie es ausgeht". CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt schimpfte: "Man muss nicht mitten im parlamentarischen Verfahren eine solche Vollbremsung hinlegen."

Die hinter den Kulissen laufenden Schlichtungsversuche verliefen gestern tagsüber erfolglos. Klar war nur, dass das Betreuungsgeld nicht gekippt werden soll. Man werde es beschließen, sagte Unions-Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU), er wisse nur noch nicht wann. "Wir wissen noch nicht einmal, wer mit wem sprechen soll", gab er zu. Auch diese Ratlosigkeit zeigt, wie sehr die FDP die Union überrumpelt hat.

In der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am Mittag übte sich ihr Chef Volker Kauder in Motivationsarbeit. Die Koalition müsse nun zeigen, dass sie etwas hinbekommen kann, soll Kauder nach Teilnehmerangaben gesagt haben. Scharf habe er die CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und des Saarlands, Reiner Haseloff und Annegret Kramp-Karrenbauer, angegriffen. Diese hätten die FDP mit ihrem Bundesratsvotum für eine Frauenquote vorgeführt. Mit Blick auf die Hamburger Initiative habe Kauder gesagt: "Olaf Scholz hält ein Stöckchen hin, und wir springen freiwillig drüber."

Der Fraktionschef konnte den Ärger der FDP also nachvollziehen. Bei der Union gilt es inzwischen als ausgemacht, dass die Liberalen eine Gegenleistung zum Betreuungsgeld erhalten müssen. Genannt wurde die von der FDP seit Langem geforderte Abschaffung der Praxisgebühr oder die Senkung des Solidaritätszuschlags. Die Union könnte das Ja der FDP zum Betreuungsgeld am Ende also teurer zu stehen kommen als gedacht. Doch auch innerhalb der Fraktion gibt es Zweifler: Der Hamburger CDU-Abgeordnete Jürgen Klimke will den Kompromiss ebenfalls nicht mittragen. Die maßgeblichen Probleme würden nicht beseitigt.

Die Opposition jedenfalls sieht den Streit mit Genuss. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sagte: "Jetzt erleben wir den 77. Akt der unendlichen Geschichte über das sinnloseste Vorhaben der schwarz-gelben Koalition." SPD-Vize Manuela Schwesig empfahl Union und FDP, das Projekt Betreuungsgeld ganz zu begraben.