Kanzlerin und Physikerin taufte gestern die neue Experimentierhalle der Teilchen-Wissenschaftler - und lobte “unermüdlichen Forscherdrang“.

Hamburg. Viel hätte nicht gefehlt, und das doppelte Heimspiel der Bundeskanzlerin wäre ins Wasser gefallen. Als Angela Merkel gestern Nachmittag auf dem Weg nach Bahrenfeld war, ging im Hamburger Westen ein mächtiger Regenguss nieder; als sie die Desy-Experimentierhalle besichtigte, die sie später taufen sollte, schien zwar kurz die Sonne auf das 280 Meter lange und 25 Meter breite Gebäude, doch als die Kanzlerin draußen vor der Halle ans Rednerpult trat, drohte der Himmel erneut düster mit einer Dusche. "Taufe hat ja auch immer mit Wasser zu tun", scherzte Desy-Chef Helmut Dosch. Es blieb dann doch trocken.

Vielleicht sind dieser Mut und dieser Optimismus, die Party des Jahrzehnts an einem 19. September in Hamburg im Freien steigen zu lassen, bezeichnend für den Forscherdrang, der diese Institution prägt. Und der sie nun in eine neue Dimension führen soll. Mittel zum Zweck ist eine Einrichtung, deren Name eher an eine Friseursalon-Kette erinnert, tatsächlich aber als die "weltweit brillanteste Röntgenlichtquelle" gilt: Petra III. Das Gebäude drum herum tauften Angela Merkel, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), die Chemie-Nobelpreisträgerin Ada Yonath und Desy-Direktor Dosch gestern auf den Namen des deutschen Physikpioniers Max von Laue. "Petra III erweitert in beeindruckender Weise die Forschungs- und Erkenntniswelt, für die Max von Laue vor 100 Jahren den Grundstein gelegt hat", sagte Merkel, die - obwohl in Hamburg geboren und Physikerin mit Doktortitel - Desy erstmals einen Besuch abstattete.

Laue, ein Wegbegleiter Albert Einsteins, hatte vor 100 Jahren die Beugung von Röntgenstrahlen an Kristallen entdeckt und damit "das Tor zur Neuzeit aufgestoßen", so Dosch. Laues Erkenntnisse machten es erst möglich, die molekulare und atomare Struktur von Materialien zu entschlüsseln. "Ohne dieses Jahrhundertexperiment gäbe es keine Hochleistungsmaterialien, keine passgenauen Medikamente und auch kein iPhone", betonte der Desy-Chef.

In diesem Sinne blickte Merkel in die Zukunft: "Wir können heute schon ein bisschen träumen, wie personenspezifisch eines Tages medikamentöse Behandlungen möglich sein werden." Dabei setze sie natürlich auf den "unermüdlichen Forscherdrang" der Desy-Mitarbeiter, so Merkel: "Hier verstehen es die Forscher, den Einsatz der Großgeräte auf wichtige Fragen der Menschheit und damit zum Nutzen jedes einzelnen Menschen auszurichten."

Die Bundeskanzlerin ermunterte die Wissenschaftler, eine auch für Laien verständliche Sprache zu sprechen, das sei wichtig für die Akzeptanz von Spitzenforschung. "Daran kann man noch arbeiten", so Merkel.

Passend dazu konnte das Desy-Team ein verständliches Beispiel liefern, was Petra III kann. So wurde in dem 2,3 Kilometer langen Beschleunigerring ein winziges Teilchen des Van-Gogh-Gemäldes "Blumen in blauer Vase" untersucht und festgestellt, was die gelbe Farbe der Blumen so hat verblassen lassen: eine chemische Reaktion an der Bildoberfläche. Auch komplette Vang-Gogh-Gemälde seien bei Desy schon untersucht worden, berichteten Mitarbeiter stolz. Merkel selbst griff sich in der Experimentierhalle ein Beil aus der Steinzeit und fragte Dosch, was es damit auf sich habe. Antwort: Petra III kann das historische Werkzeug durchleuchten und Erkenntnisse über seine Beschaffenheit liefern.

"Hamburg wird in Zukunft noch mehr als bisher der Ort sein, an dem sich Wissenschaftler aus der ganzen Welt zusammenfinden", frohlockte Bürgermeister Scholz. Tags zuvor hatte er die Gründung eines ans Desy angebundenen Max-Planck-Instituts für Strukturforschung verkündet. Dafür stelle der Senat 30 Millionen Euro zur Verfügung. Scholz sagte, er erhoffe sich von Desy auch "völlig neue Perspektiven" für die Nanotechnologie, die Werkstoffforschung oder den Bereich Life Sciences. Geprüft werde auch, ob diese Entwicklung in einen Technologiepark neben dem Campus Bahrenfeld münden könne. Wie die Bundeskanzlerin lobte auch der Bürgermeister den Namensgeber der beeindruckenden Halle. Max von Laue habe es besonders schwer gehabt, weil er auch nach 1933 tapfer die "jüdische Physik Einsteins" verteidigt und sich damit "auf dünnes Eis im damaligen Deutschland" begeben habe, so Scholz. Den Forschern am Desy wünsche er daher vor allem "unbeeinflusstes Arbeiten im Dienst der Wissenschaft".