Bei ihrer Jahres-Pressekonferenz prallt jede Kritik an Merkel ab. Trotzdem geht sie mit vielen offenen Fragen ins achte Regierungsjahr.

Berlin. Fotografen lieben Gesten. Vor allem dann, wenn sie die oft so statisch auftretenden Politiker ablichten sollen. Als Angela Merkel gestern also bei ihrer traditionellen Sommer-Pressekonferenz vor der versammelten Hauptstadtpresse sitzt und mit der rechten Hand eine unsichtbare Kurve in die Luft malt, die die Aufs und Abs der europäischen Lohnstückkosten verdeutlichen soll, bricht ein Klickfeuerwerk los. Alle drücken gleichzeitig auf den Auslöser - und machen damit solch einen Lärm, dass die Bundeskanzlerin gar nicht mehr zu hören ist.

+++Merkel bangt um die Bezahlbarkeit der Energiewende+++

+++ Leitartikel: Merkels Schwachstelle+++

Merkel registriert das natürlich und hält inne. Sofort ist es wieder still. "Jetzt ist Flaute", sagt Merkel und grinst. Dann hebt sie erneut die Hand, und das Klicken der Kameras schwillt wieder an. Die Kanzlerin spielt Dirigentin - eine Rolle, die ihr zumindest in diesem Moment ganz offenkundig zu gefallen scheint.

Völlig neu ist sie ihr nicht. Merkel ist Protagonistin, Drehbuch-Schreiberin und Regisseurin im großen Drama namens Euro-Rettung. Sie besetzt diese Jobs nicht allein, aber sie besetzt sie mit einer Vehemenz, die nicht nur im Ausland, sondern auch zu Hause in Berlin zu beobachten ist. An diesem Vormittag vor der blauen Wand und Hunderten Journalisten geht es deshalb auch in erster Linie um Europa und die Zukunft der Staatengemeinschaft. Es ist das einzige Thema, bei dem die sonst so sachliche Kanzlerin so etwas wie Leidenschaft durchscheinen lässt. Den Rest absolviert sie mit stoischer Gelassenheit - und pariert Fragen zum umstrittenen Anti-Islam-Film, dem Spagat zwischen Religions- und Meinungsfreiheit oder dazu, ob es Konsequenzen aus dem NSU-Aufklärungsskandal geben soll. Der Tenor ein Jahr vor der Bundestagswahl: Die Regierung hat alles im Griff. Von Schwierigkeiten will die Kanzlerin eigentlich kaum etwas wissen. Doch damit könnte sie sich täuschen. Die Knackpunkte im Überblick:

Euro-Krise

Das Bekenntnis der Kanzlerin zu Europa gleicht einem Mantra. "Wir, die EU, sind zu unserem Glück vereint", sagt sie. Der Euro stehe in diesem Zusammenhang für mehr als eine Währung, er stehe für die friedliche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten. Es geht um die Idee, die Merkel mit diesen Worten transportieren will, um eine Vision. Wirtschafts- und Fiskalpolitik sind in ihrem Verständnis Mittel zum Zweck. Das Rezept gegen die Krise: mehr Europa. All das hat man von der Kanzlerin schon viele Male gehört. Genauso wie ihren Satz, Deutschland werde stärker aus der Krise hervorgehen, als es hineingegangen ist.

Bei einem EU-Sonderrat im November soll die mittelfristige Finanzplanung bis 2014 festgezurrt werden, damit klar ist, wie viel Geld in Wachstumsprogramme investiert werden kann. Beim Gipfel im Dezember sollen Vorschläge "beschlussreif vorliegen", was für eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unternommen werden kann. Dass es noch viele Unwägbarkeiten gibt, verschweigt die Kanzlerin lieber: Trotz aller Maßnahmen ist die Zukunft von Spanien und Italien noch unsicher, was aus der Banken-Union wird ebenso. Merkels Traum von mehr Europa hängt zudem an 26 weiteren Mitgliedstaaten - Großbritannien etwa hat schon einige Male klargemacht, dass es eher weniger als mehr Einmischung aus Brüssel wünscht. Dass Merkel noch einmal den Dreiklang ihres Kurses betont, kann diese Fragen nicht zerstreuen: solide Finanzen, Wettbewerbsfähigkeit, Solidarität mit den Schwachen. Denn vor allem Letzteres wird in manchen Teilen Europas ab und an bezweifelt.

Griechenland

Athen ist für diese Zweifel das beste Beispiel. Immer wieder wird hier das Bild der eisernen Sparkommissarin ohne Gnade bedient, die unmögliche Reformen verlangt. Auch Merkel weiß das. Auf die Frage, welche Gefühle das in ihr auslöse, schweigt die Kanzlerin aber. "Ich sage dann immer, dass ich das nicht tue, um jemanden zu ärgern", erklärt sie. "Es geht um die Zukunft Europas und nicht darum, dass ein Land dem anderen Schwierigkeiten aufbürdet."

Ein bisschen emotional wird die Kanzlerin dann aber doch. "Mir blutet das Herz", sagt sie zu der Tatsache, dass die Reformen vor allem die kleinen Leute trifft, während reiche Griechen ihr Geld ins Ausland schaffen. Und sie hat noch einen Ratschlag an alle Sparunwilligen parat: "Es hilft nicht, dass man sich gegen Maßnahmen auflehnt, die sowieso gemacht werden müssen." Die Devise also: Augen zu und durch. Eine Garantie dafür, dass sich Griechenland in der Euro-Zone halten lässt, bedeutet das aber noch lange nicht.

Energiewende

Der im Hauruck-Verfahren beschlossene Abschied von der Atom-Energie ist das Prestigeprojekt dieser Bundesregierung - auch wenn sie nicht lange genug im Amt sein wird, um sich daran messen zu lassen. Bis 2022 soll das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden - und Merkel zeigt keinen Zweifel daran, dass das auch funktionieren wird. "Ich bin davon überzeugt, dass wir die Energiewende schaffen", sagt sie.

Doch es gibt viele offene Fragen: Kommt der Netzausbau mit? Kann der CO2-Ausstoß trotz neuer Kohlekraftwerke begrenzt werden? Auch die Kanzlerin macht klar, dass man hier Neuland betrete, "und oft entwickeln sich Dinge anders als gedacht". Dazu zählt auch, dass der Ausbau etwa bei der Solarenergie sehr schnell verlief - und dass deshalb der Strompreis durch eine höher ausfallende Öko-Umlage ansteigen wird. Eine Deckelung will die Kanzlerin aber nicht: "Wir planen dazu keine direkten Gegenmaßnahmen." Dass zum Jahreswechsel die Beiträge zur Rentenversicherung sinken werden, sei hingegen eine geeignete Kompensation. Ob das den Unmut der Bürger über höhere Abschläge eindämmen wird, steht derweil auf einem anderen Blatt.

Rente

Es war das Streitthema der vergangenen Tage. Was tun gegen Altersarmut? Die von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgeschlagene und von allen Seiten zerpflückte Zuschussrente will Merkel immer noch nicht, formuliert das aber charmant und sagt, das Modell werde "sicherlich Modifikationen bekommen". Die Debatte ändere aber nichts daran, "dass wir Antworten geben müssen".

Da hat die Kanzlerin recht. Antworten sind nicht nur nötig, weil das Problem Altersarmut tatsächlich vor den Toren steht, sondern auch, weil die SPD kaum erwarten kann, aus diesem Streit Kapital zu schlagen. Zwar kündigt Merkel an, das Thema noch in dieser Legislaturperiode abräumen zu wollen. Dafür muss sie aber CDU, CSU und FDP auf eine Linie bringen. Wie schwer das sein kann, haben schon andere missglückte Projekte gezeigt.

Koalition

Die Frage nach dem Zustand ihres Regierungsbündnisses hat Merkel nicht so gern. Aber da dies nun einmal die unausgesprochene Linie dieser Pressekonferenz ist, ist nach Bekundungen der Kanzlerin auch bei Union und FDP alles in Butter. "Wir sind eine Koalition, die aus drei unterschiedlichen Parteien besteht, was schon von vornherein ein Anzeichen dafür ist, dass wir nicht immer einer Meinung sind", erklärt Merkel. Dies bedeute aber nicht gleich "Streit". Das Bündnis mit der FDP will die Kanzlerin deshalb am liebsten auch nach 2013 fortsetzen - viel lieber jedenfalls als eine Große Koalition.

Nach dem Grund gefragt muss Merkel wieder schmunzeln. "In einer Großen Koalition gibt es immer noch einen Partner, der auch den Kanzler stellen möchte." Da sie gern weiterregieren will, böte sich also Konfliktpotenzial - anders als mit der FDP. Geplant oder ungeplant hat Merkel hier einen Seitenhieb parat: "Herr Rösler ist gerne Vizekanzler", sagt sie mit Blick auf den FDP-Chef. "Und das kann ich gut verstehen."