In der CDU wird die Kritik am Betreuungsgeld wieder lauter. CSU-Chef Seehofer vollzieht eine 180-Grad-Wende zu seiner bisherigen Haltung.

Berlin. Horst Seehofer ist ganz weit weg von Berlin. Der CSU-Vorsitzende weilt dieser Tage in seiner Funktion als Bundesratschef in Israel und im Westjordanland, um sich ein Bild vom Nahost-Konflikt zu machen. Doch Seehofer wäre nicht Seehofer, wenn er nicht aus rund 2900 Kilometer Entfernung etwas zum Hauptstadtgeschehen beitragen könnte.

So auch gestern Vormittag in Jerusalem. Beim Betreuungsgeld, ließ der bayerische Ministerpräsident dort am Rande wissen, könne man über "fachliche Verbesserungen" durchaus reden. Etwa sei die Verknüpfung mit medizinischen Vorsorgeuntersuchungen möglich. "Die Vorsorgeuntersuchung ist geeignet, nicht nur Misshandlung, sondern auch Unterernährung und Verwahrlosung von Kindern zu erkennen", erklärte er - und vollzog damit fast beiläufig eine 180-Grad-Wende zu seiner bisherigen Haltung. Denn ursprünglich war es Familienministerin Kristina Schröder (CDU) gewesen, die die Auszahlung des Betreuungsgeldes von der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen abhängig machen wollte - was Seehofer aber per Veto verhinderte.

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Beim Betreuungsgeld beharken sich Union und FDP seit Monaten - auch CDU und CSU untereinander. Mit vollem Herzen unterstützt haben es vor allem die Bayern, der Rest fügte sich zähneknirschend. Und es gibt noch mehr sozialpolitische Themen, bei denen es schwierig ist in der Koalition. Hart umkämpft sind die gesetzliche Frauenquote und die steuerliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften. Zugrunde liegt diesen Konflikten die Frage, wie konservativ die Union noch sein will. Wie sehr sich die bewahrenden Kräfte durchsetzen oder jene, die der CDU den Anstrich einer modernen Großstadtpartei verleihen wollen.

Vor allem in der zweiten Reihe brodelt es heftiger, als die Parteiführung glauben machen will. Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke lehnt das Betreuungsgeld in seiner geplanten Form ab - und ist damit nicht allein. In einer Probeabstimmung in den Koalitionsfraktionen im Juni hatte es zu viele Gegenstimmen bei Union und FDP gegeben, als dass eine Mehrheit im Bundestag sichergestellt wäre. "Von einem Zugehen der Fraktionsführung auf die Kritiker und damit einem Sicherstellen der Mehrheit ist mir bisher nichts bekannt", sagte Klimke dem Abendblatt. Sein Wunsch: die heimische Kinderbetreuung auf die Rente anzurechnen, statt ein Betreuungsgeld auszuzahlen. "Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Altersarmut wäre das ein Schritt, bei Frauen substanziell Verbesserungen zu erreichen", so Klimke.

In der FDP, die ebenso vor einem Scheitern des Betreuungsgeldes gewarnt hatte, sieht man Seehofers neue Kompromissbereitschaft positiv: Dies habe wohl "einiges damit zu tun, dass der bayerische Ministerpräsident mal angefangen hat, in der Koalition Stimmen zu zählen", sagte Patrick Meinhardt, federführender Vorsitzender des zuständigen Arbeitskreises, dem Abendblatt. "Dabei dürfte er wohl festgestellt haben, dass es unter derzeitigen Konditionen für eine Mehrheit sowohl in der CDU als auch in der FDP sehr eng wird. Jetzt erwarte ich auch eine echte Verhandlungsbereitschaft."

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Heute wird es im Bundestag eine Expertenanhörung zum Betreuungsgeld geben. Die Leistung soll ab 2013 an Eltern gezahlt werden, die für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr keinen Kita-Platz in Anspruch nehmen. Zunächst sind 100 Euro, später 150 Euro pro Monat vorgesehen. Die Opposition ist strikt gegen das Gesetz. 27 renommierte Wissenschaftler wandten sich in der "Zeit" dagegen: "Wir appellieren an die Bundeskanzlerin und die gesamte Bundesregierung, ihre erst vor wenigen Jahren eingeleitete moderne Familienpolitik nicht durch das Betreuungsgeld zu desavouieren." Statt wie geplant am 28. September soll die abschließende Lesung des Gesetzentwurfs zum Betreuungsgeld nun erst am 18. Oktober stattfinden. Freuen kann sich Ministerin Schröder aber über einen wachsenden Etat: 7,1 Milliarden Euro sind 2013 für ihr Ressort eingeplant, 338 Millionen Euro mehr als 2012. "Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten können sich Familien auf Union und FDP verlassen", sagte Schröder bei der Haushaltsdebatte im Bundestag.

Kompromissbereit zeigte sich auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei einem anderen sozialpolitischen Thema, der Alterssicherung. Ihr Konzept einer Zuschussrente war heftig kritisiert worden. "Über die Details können wir streiten", sagte sie nun. Es gebe aber eine "Gerechtigkeitslücke für Niedrigverdiener" im Rentensystem, die man gezielt angehen müsse.