Europas Währung gestärkt: Nach Meinung der meisten Experten haben die Karlsruher Richter ein ausgewogenes Urteil zum Rettungsschirm gefällt.

Berlin. Das Bundesverfassungsgericht hat den Weg zum Start des Euro-Rettungsschirms ESM freigemacht - allerdings nur unter Vorbehalt. Die Richter wiesen am Mittwoch in Karlsruhe Anträge der Kläger überwiegend zurück, dem Bundespräsidenten die Unterzeichnung des Gesetzes zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bis zum endgültigen Urteil des Gerichts über die Verfassungsbeschwerden zu untersagen. Die Ratifizierung könne aber erst abgeschlossen werden, wenn völkerrechtlich sichergestellt sei, dass die Haftungsgrenze Deutschlands von 190 Milliarden Euro nur mit Zustimmung des Bundestages geändert werden könne. Experten sagten in ersten Reaktionen:

Otto Fricke , FDP-Haushaltsexperte: "Das Bundesverfassungsgericht hat die Eurostabilisierungspolitik der Koalition vollumfänglich bestätigt und ausdrücklich die Position Deutschlands in Europa gestärkt. Gleichzeitig wurde den rot-grünen Träumen von einer Schuldenunion eine krachende Absage erteilt. Das Parlament ist mit dem nun offiziell verfassungsrechtlich bestätigten Parlamentsvorbehalt der Koalition weiter gestärkt worden. Die nun aufzustellenden Ratifizierungsvorbehalte unterstreichen die deutsche Haftungsobergrenze und die Verpflichtung zur Transparenz.“

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Andreas Blex , Chefvolkswirt des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR): "Der BVR begrüßt die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Weg zu einer Ratifizierung des ESM-Vertrags und den Fiskalpakts grundsätzlich freimacht.“

Hans Michelbach , Vorsitzender der CSU-Mittelstandsunion: "Die Auflage einer klaren völkerrechtlichen nominalen Begrenzung der Risiken des ESM für Deutschland auf 190 Milliarden Euro bedeutet die klare Absage des höchsten deutschen Gerichts an eine Bankenlizenz für den ESM. Das muss vertragliche Konsequenzen haben. Alle Vertragsbestimmungen, die dafür auch nur eine Hintertür offenlassen, müssen rechtssicher korrigiert werden. Die Verfassungsrichter haben für rechtliche Klarheit gesorgt. Damit trägt das höchste deutsche Gericht maßgeblich zur Befriedung einer innenpolitischen Debatte bei.“

+++ Weitere Reaktionen zum ESM-Urteil von Karlsruhe +++

Holger Poppenhäger , Thüringens Justizminister: "Damit kann Deutschland als letztes Land der Euro-Zone diesen für die Zukunft so wichtigen Vertrag unterschreiben, wenn die gestellten Bedingungen erfüllt sind. Gleichzeitig werden die parlamentarischen Mitwirkungsrechte erneut gestärkt.“

Klaus-Peter WIllsch , CDU-Bundestagsabgeordneter und ESM-Kritiker: "Vorbild für die EZB war eigentlich die Bundesbank. Jetzt entwickelt sie sich eher zu einer Banca Italia.“

Alexander Graf Lambsdorff , Vorsitzender der FDP im Europäischen Parlament: "Die heutige Entscheidung des Verfassungsgerichts ist ein wichtiger Baustein für die Bewältigung der Schuldenkrise. Der ESM hat mit der heutigen Entscheidung eine entscheidende Hürde genommen und muss nun so schnell wie möglich arbeitsfähig werden. Die Richter haben dabei die im Grundgesetz verankerte pro-europäische Ausrichtung bestätigt.“

Hans Reckers , Hauptgeschäftsführer Bundesverband Öffentlicher Banken (VÖB): "Die Europäische Union und der Euroraum erhalten mit dem ESM und dem Fiskalpakt überzeugende Werkzeuge zur glaubhaften Bekämpfung von Krise und Spekulation. Die EU und auch die Eurostaaten senden damit ein starkes Signal an die Märkte und werden aus diesem Prozess gestärkt hervorgehen.“

Priska Hinz , Haushaltspolitikerin der Grünen im Bundestag: "Es war gut, dass sich das Verfassungsgericht die nötige Zeit zur sorgfältigen Prüfung der Eilanträge genommen hat. Die gesetzliche Haftungsbeschränkung wurde von einem weiteren Verfassungsorgan bestätigt. Erfreulich ist die erneute Bekräftigung der Rechte des Bundestags. Damit steht fest, dass der Bundestag in Zukunft die notwendigen Auskünfte durch die Bundesregierung erhält. Der Euro ist damit aber noch nicht gerettet. Nachdem die EZB in der vergangenen Woche den Ball zurück an die Bundesregierung gespielt hat, ist Schwarz-Gelb in der Pflicht seine zögerliche Haltung in der Euro-Frage aufzukündigen. „

Kyrill-Alexander Schwarz , Verfassungsrechtler Uni Würzburg: "Grundsätzlich ist der ESM-Vertrag aus Sicht des BVG ratifizierbar. Aber die Bundesreagierung muss sich völkerrechtlich bemühen, auf bestimmte Vorgaben aus dem Urteil hinzuwirken. Bundespräsident Gauck wird wahrscheinlicher erst unterschreiben, wenn die Protokollnotiz ausgeführt ist. Er könnte dies auch vorher tun, aber aus Respekt vor den anderen ESM-Vertragspartnern wird er wohl noch warten.

Eine sofortiges Ausfertigen und Verkünden der deutschen Zustimmungsgesetze dürfte problematisch sein, solange nicht die Vorgaben des Verfassungsgerichts erfüllt sind. Man muss nun Protokollerklärungen zu dem völkerrechtlichen Vertrag aufsetzen, dass man sich an den Vertrag nur unter bestimmten Bedingungen hält. In diesem Fall geht es um die Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro. Eine Erhöhung dieser Grenze darf es nur mit der Zustimmung des deutschen Vertreters im ESM-Gouverneursrat geben. Aus Sicht der Bundesregierung wird der ESM-Vertrag keine Bindung für Deutschland entfalten, solange die Vorbehalte nicht wirksam sind. Sie muss sagen, wir halten uns nur an den ESM-Vertrag, wenn unsere Vorbehalte von den anderen ESM-Vertragspartnern anerkannt werden.

Der zweite Punkt - der wohl in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird – ist: Der deutsche Vertreter im ESM-Rat muss dem Bundestag und Bundesrat breite Informationsrechte einräumen und darf nicht unter Hinweis auf seine Rechtsstellung Informationen verweigern.“

Christian Pestallozza , Verfassungsexperte der FU Berlin: "Der Vertrag kann damit in Kraft treten. Sicher muss die Bundesregierung die vom Gericht benannten Konditionen erfüllen. Aber der Weg für den ESM ist frei. Das Urteil ist ein wichtiger Fingerzeig für die Entscheidung Karlsruhes in der Hauptsache. Wenn das Gericht jetzt grünes Licht für Deutschland beim ESM gibt, dann heißt das, dass es derzeit überzeugt ist, auch in der Hauptsache zu einem positivem Votum zu kommen.“

Marco Bargel , Chefvolkswirt Postbank: "Das ist eine gute Nachricht für den Euro. Wir können jetzt voranschreiten mit den Stabilisierungsmaßnahmen. Der Weg ist damit frei, dass eventuell Spanien und womöglich Italien auf Staatsanleihekäufe des ESM zurückgreifen können. Es sind allerdings Grenzen gesetzt worden für die maximale Haftungsgrenze, die Deutschland im Rahmen des ESM zu tragen bereit ist. Es muss jetzt noch ausformuliert werden, wie das genau ausgestaltet wird. Da sind also noch ein paar Punkte zu klären. Ich glaube nicht, dass im Hauptsacheverfahren noch Störfeuer des Verfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der EZB kommen wird. Das wird durchgehen.“

Andreas Rees , Deutschland-Chefvolkswirt Unicredit: "Das ist ein guter Tag für die Euro-Zone. Sie erhält jetzt einen zweiten wichtiger Stützpfeiler in ihrer Architektur – mit dem ESM und Fiskalpakt auf der einen Seite sowie den EZB-Anleihenkäufen auf der anderen Seite. Diese beiden Stützen werden die Finanzmärkte beruhigen. Viele Krisenländer erhalten jetzt Zeit, um ihre Reformen voranzubringen. Damit befindet sich die Währungsunion auf einem guten Weg. Der ist zwar noch lang und steinig, aber er wird sich mittelfristig bezahlt machen.“

Jörg Krämer , Commerzbank-Chefvolkswirt: "Der ESM kann an den Start gehen. Die EZB wird im großem Stil Staatsanleihen kaufen. Wir bekommen eine Haftungsunion, die den Charakter der Währungsunion ändern wird – hin zu einer italienisch geprägten Währungsunion. Sie wird Parallelen aufweisen zum Italien der siebziger Jahre."

Mit Material von reuters