Jeder fünfte Deutsche arbeitet für einen Niedriglohn. Taxifahrer besonders betroffen

Berlin. Die FDP hat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) davor gewarnt, mit ihrem Vorgehen gegen Niedrigrenten einen Bruch der schwarz-gelben Koalition zu provozieren. Führende FDP-Politiker warfen ihr gestern vor, mit ihrem Angebot an die SPD für Gespräche über einen Rentenkonsens rote Linien zu überschreiten. "Die Lockerungsübungen von Frau von der Leyen sind die Vorbereitungen auf eine Kanzlerschaft in einer Großen Koalition", sagte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP).

Weil das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 von 51 auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns sinken soll, droht vielen Menschen in Deutschland Altersarmut. Von der Leyen will daher eine aus den Beiträgen der Rentenversicherten finanzierte Zuschussrente, damit Menschen, die 35 Jahre lang rund 2500 Euro verdient und entsprechende Summen eingezahlt haben, nicht auf das Niveau der Sozialhilfe abstürzen. Allerdings stößt sie damit auf Widerstand selbst in der Union. Die Partei will ihren Streit möglichst zügig beilegen und peilt eine Grundsatzentscheidung für den Herbst an.

Die SPD will laut ihrem neuen Rentenkonzept für langjährig Beschäftigte eine mit Steuermitteln aufgestockte Solidarrente von 850 Euro - von der Leyen hatte das Konzept gelobt und Gespräche angeboten. Auch die Grünen zielen in eine ähnliche Richtung. "Wir wollen eine steuerfinanzierte Garantierente", sagte Parteichefin Claudia Roth. Auch Beamte und Selbstständige sollten einzahlen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht wegen der Uneinigkeit in der Union und inhaltlicher Differenzen aber derzeit keine Basis für einen Rentenkonsens zwischen Regierung und Opposition. "Es kann keine Solidarrente ohne Mindestlohn geben", sagte Gabriel gestern nach Beratungen des Parteivorstands. Dies sei der wesentliche Unterschied zum Konzept von der Leyens, sagte der SPD-Vorsitzende. Es dürfe im Erwerbsleben nicht mehr zu so geringen Verdiensten kommen, dass mit Renteneintritt Altersarmut drohe. "Der Vorschlag von Frau von der Leyen ist allein schon deshalb eine mittlere Katastrophe, weil er davon ausgeht, dass der Anteil derjenigen, die trotz Arbeit arm bleiben, weiter ungebremst anwächst", so Gabriel.

Unterstützung bekam Gabriel für seine Argumentation indirekt vom Statistischen Bundesamt. Nach neuen Zahlen arbeiten in Deutschland 20,6 Prozent der Beschäftigten zu Niedriglöhnen. Die Niedriglohngrenze lag 2010 bei 10,36 Euro brutto in der Stunde. "Niedriglohn heute bedeutet niedrige Rente morgen", sagte der Präsident des Statistischen Bundesamts, Roderich Egeler. 2006 habe die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten noch bei 18,7 Prozent gelegen. Niedriglöhne werden vor allem im Taxigewerbe, in Friseur- und Kosmetiksalons, im Reinigungsgewerbe und in der Gastronomie gezahlt.

Gabriel sagte, von der Leyen verstehe offenbar nicht, dass es Altersarmut nur wegen einer Erwerbsarmut gebe. Wer diese nicht bekämpfe, sorge dafür, dass die Kosten zur Bekämpfung der Altersarmut immer höher werden. Der SPD-Vorstand soll das Konzept wahrscheinlich am 24. September absegnen, damit es ein kleiner Parteitag im November beschließen kann.