Verband fordert Sozialvertrag und mehr Geld für Bedürftige. Grundsicherung für 32 000 Menschen

Hamburg. Hamburgs mutmaßlich größter Rentenexperte hat auch den größten Schreibtisch im Rathaus. Der Mann heißt Olaf Scholz (SPD) und war Vorgänger von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Arbeit, Rente, Soziales - das sind Scholz' Leib- und-Magen-Themen. Deshalb haben auch viele ein Wort des Ersten Bürgermeisters zur Rentendebatte und zur drohenden Altersarmut in Hamburg bislang vermisst. Dabei läuft ihm in vielerlei Hinsicht die Zeit davon.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) warnt im Abendblatt vor einer verheerenden Entwicklung in Hamburg. Der Landesvorsitzende Klaus Wicher sagte, immer mehr Rentner müssten Mini-Jobs annehmen, um etwas hinzuzuverdienen. "Die gehen noch mit Mitte 70 putzen." Tatsächlich hatten Zahlen der Bundesregierung ergeben, dass zurzeit 761 000 Menschen über 65 regelmäßig arbeiten. Wie viele von ihnen müssen oder wollen, ist nicht belegt. Wicher sagte, die Altersarmut werde außer den vielen Frauen, die heute betroffen sind, vermehrt Männer aus dem Niedriglohnsektor sowie Teilzeitbeschäftigte treffen, aber auch Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Wer gut 2000 Euro im Monat verdiene, sei ein Kandidat für die Grundsicherung Hartz IV im Alter.

Die private Altersvorsorge könnten sich viele nicht leisten. Außerdem sei durch das Scheitern vieler Ehen und Beziehungen die Altersversorgung Tausender Hamburger bedroht. Wer Kinder hat, die vor 1992 geboren wurden, bekommt nicht die Erziehungszeiten angerechnet wie Mütter von jüngeren Kindern. "Tausende Menschen drohen in bitterste Armut zu fallen", warnte Wicher. Zurzeit leben 32 568 Hamburger von Grundsicherung. Darunter sind nach SoVD-Angaben 11 000 Menschen, die wegen einer Krankheit nicht mehr arbeiten können. Der Anteil der bedürftigen Rentner liegt über dem Bundesdurchschnitt. Damit sind Hamburger besonders betroffen. "Hohe Mieten, steigende Energie- und Lebensmittelpreise sorgen dafür, dass immer mehr Rentner zu den Hamburger Tafeln gehen", sagt Wicher. Er fordert, die Grundsicherung auf 450 Euro pro Person zu erhöhen, Mindestlöhne einzuführen und auch für Hartz-IV-Empfänger Rentenbeiträge zu zahlen.

Am Freitag warnte auch der Mieterbund vor unbezahlbaren Wohnungen in den Großstädten. Im Durchschnitt zahlten Mieter mehr als ein Drittel ihres Haushaltsnettoeinkommens für Miete und Nebenkosten. Der Sozialverband erwartet vom Senat, dass er die Schuldenbremse im Haushalt erst 2020 einführt, wie es das Grundgesetz vorschreibt - und nicht schon früher. Das gewonnene Geld solle in einen Hamburger Sozialvertrag fließen.