Die Arbeitsministerin wollte die Zuschussrente erzwingen - und scheiterte am Widerstand in der eigenen Partei

Berlin. Ursula von der Leyen ist nicht nur eine leidenschaftliche Politikerin, sondern auch eine leidenschaftliche Dressurreiterin. In Runden von Unwissenden erklärt sie die Faszination ihres Sports gern so: Man lerne als leichte Reiterin ein mehrere Hundert Kilogramm schweres Pferd zu dirigieren - nur mit sanftem Schenkeldruck und natürlicher Autorität. Die Analogie war gewollt: Die zierliche von der Leyen hatte CDU und CSU vor allem in ihrer Zeit als Familienministerin zu überraschenden Sprüngen und spektakulären Kunststücken gebracht. Aber gestern hat die Union sie abgeworfen.

Die Eleganz hatte von der Leyen schon vorher verloren. Zuletzt versuchte sie ihr zentrales Projekt dieser Legislaturperiode geradezu durchzupeitschen: Die Zuschussrente für Geringverdiener wollte sie unbedingt auf den Weg bringen und zog alle Register. In der Sommerpause stellte sie einen nicht mit den Regierungsfraktionen abgestimmten Entwurf vor und verknüpfte ihn mit einer Senkung des Rentenbeitrags, der damit nichts zu tun hat. Fünf junge Abgeordnete schrieben die allgemeine Empörung darüber in der Unionsfraktion auf - die "Welt am Sonntag" veröffentlichte das Wutpapier.

Nun war von der Leyen ihrerseits sauer. Im Vorstand der CDU beklagte sie sich über die jungen Politiker. Doch Angela Merkel sprach keine Rüge aus, sondern riet ihr: Du musst dich mit den jungen Leuten treffen. Die Ministerin lud auch ein: Am Sonnabend um 21.30 Uhr trudelte der Brief bei den Abgeordneten ein, die "Bild am Sonntag" hatte ihn auch bekommen. Zusammen mit neuen Zahlen aus dem Arbeitsressort: Altersarmut gewaltigen Ausmaßes drohe. Auch ein Arbeitnehmer mit 2500 Euro Monatsverdienst nage künftig im Alter beinahe am Hungertuch. Plötzlich führte Deutschland eine Debatte über Altersarmut. Auf der Grundlage von Zahlen, die frisiert worden waren, wie viele Experten befanden. Eine Rentenpanik im Wahljahr aber war das Letzte, was Merkel gewollt hatte.

Vorher hatte die Kanzlerin jede Festlegung zu den leyenschen Plänen vermieden. Doch jetzt - nach Leyens Initiative - gab Merkel diese Zurückhaltung auf. Neben der Panikmache bei der Rente hatte sich Merkel auch noch über eine andere Offensive Leyens geärgert. Die Arbeitsministerin hört nicht auf, Streit über eine Frauenquote zu schüren. Merkel sieht das Thema bei Familienministerin Kristina Schröder und unterstützt deren Ansatz einer Flexi-Quote. Doch Leyen will eine starre Vorschrift - und ficht dafür mit allen Tricks. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla soll sich dies unlängst sogar im Gespräch mit Leyens Staatssekretär Gerd Hoofe offiziell verbeten haben.

In Sachen Rente wurde Merkel hingegen deutlich. Am Montag sprach sie vor der Senioren-Union von einer "langen Debatte", die noch zu führen sei. Dabei wollte Leyen ihr Gesetz doch schon im Oktober beschließen. Am Dienstagabend sagte Kanzleramtschef Ronald Pofalla dann im Beisein Merkels bei einem Treffen der nordrhein-westfälischen CDU-Parlamentarier zur Zuschussrente: "Die kommt nicht."

Spätestens jetzt hätte von der Leyen zurückziehen müssen. Doch sie kämpfte weiter. In einem Interview erklärte sie, sie gehe fest davon aus, dass die Zuschussrente käme. Gestern Mittag war sie mit ihren Kritikern von der jungen Gruppe verabredet, am Morgen versuchte sie die Abgeordneten schon telefonisch auf einen gemeinsamen Text zu verpflichten. Man stimme überein, eine gesetzlich finanzierte Grundrente schaffen zu wollen, hieß es in dem Papier. Doch ermutigt von den Äußerungen ihrer Kanzlerin blieben die Kritiker hart. Man ging unversöhnt mit Leerformeln vor die Fernsehkameras.

Mittlerweile hatte auch Unionsfraktionschef Volker Kauder die Anti-von-der-Leyen-Formel von der "zu führenden Diskussion" gebraucht. Da die Arbeitsministerin aber immer noch uneinsichtig blieb, bekam sie noch einen Wink mit dem Zaunpfahl. Am Nachmittag meldete "Bild", Merkel habe beim Frühstück der Unionsminister im Kanzleramt Leyen sogar direkt die Zuschussrente ausgeredet: "Bis zum Wochenende habe ich noch gedacht, das ist eine gute Sache. Aber je besser ich die Zahlen kenne, desto stärker wachsen meine Zweifel." Solche Zitate werden nicht ohne Absicht durchgestochen.

Und es sollte für Leyen noch dicker kommen. Am Nachmittag traf sie in der Fraktionsvorstandssitzung der Union auf die bayerische Schwesterpartei. Merkel, Kauder, aber auch die Vorsitzende der CSU-Parlamentarier, Gerda Hasselfeldt, erklärten, wie unglücklich sie über die entstandene Panik bei der Rente sei. Nun müsse man sich in der Debatte Zeit nehmen. Von der Leyens Plan, schon im Oktober ein Gesetz zu beschließen, ist damit tot. Beim Koalitionspartner FDP feixt man über die gestrauchelte Arbeitsministerin: Parteichef Philipp Rösler hatte sich konsequent gegen die Zuschussrente gestellt und muss für dieses Veto jetzt nicht einmal im Koalitionsausschuss an anderer Stelle Zugeständnisse machen.

Tatsächlich sind Leyens spektakuläre Erfolge, das Elterngeld und der Kita-Ausbau, Projekte der Großen Koalition. Ihre verbliebenen Projekte sind für Schwarz-Gelb nicht unproblematisch: In Leyens Ressort fiele die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, den die CDU zwar im Programm hat, die FDP aber strikt ablehnt. Und die Frauenquote - für deren Festschreibung es eine Mehrheit im Bundestag, nicht aber bei Schwarz-Gelb gäbe. Hieraus politische Erfolge zu machen käme einem Kunststück gleich. Dressurreiter wissen aber: Pferde, die ihre Reiterin einmal abgeworfen haben, müssen ganz langsam neues Vertrauen aufbauen.