Hamburg. Der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker hat nach Aussage des Historikers Martin Sabrow kurz vor dem Zusammenbruch der SED-Herrschaft mit dem Gedanken an eine deutsch-deutsche Konföderation gespielt. Sie sollte als Doppelspitze von ihm selbst im Osten und dem damaligen SPD-Politiker Oskar Lafontaine im Westen geführt werden, sagte Sabrow der "Zeit". Damit wäre Deutschland von zwei Saarländern regiert worden. Sabrow ist Leiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Honecker wurde vor 100 Jahren, am 25. August 1912, im saarländischen Neunkirchen geboren. Er starb am 29. Mai 1994 mit 81 Jahren im chilenischen Exil.

Nach Aussagen Sabrows deuten Indizien darauf hin, "dass Honecker seinen sentimentalen Saarpatriotismus als historische Chance begriffen haben könnte". Ohne die friedliche Revolution 1989 hätte sich nach den Vorstellungen Honeckers durch den Tausch von wirtschaftlicher Hilfe gegen politische Erleichterungen eine deutsch-deutsche Vertragsgemeinschaft entwickeln können. Diese These könne erklären, warum Honecker sich bis zur Entmachtung "starrsinnig an seiner aussichtslosen Herrschaft festklammerte". Lafontaine spielte bei dem möglichen Planspiel laut Sabrow keine aktive Rolle.

Die Forschung über Honecker sei durchaus reizvoll, sagte Sabrow. Die Vorstellung von ihm sei stark durch die Fotos der späten Zeit geprägt, die ihn als störrischen Alten zeigen. Die Lebensgeschichte Honeckers sei eigentlich viel lebhafter, sprunghafter und bunter als in der geglätteten Erzählung der DDR. So habe er bei einem Krimbesuch in einem kurzen Matrosenanzug posiert - "neckisch und braun gebrannt". Das Foto sei aber vom Ministerium für Staatssicherheit sofort unter Verschluss genommen worden.