Gertrud Höhler sieht Staat als Geisel einer Machtfanatikerin und die Demokratie in Gefahr

Zürich/Berlin. "Alphawölfin" und "Ego-Politikerin": Für Angela Merkel hat sich Gertrud Höhler etliche Beinamen ausgedacht. Auch "Exotin", "Testfahrerin im CDU-Themenpark", "Aufsteigerin aus dem Unrechtsstaat" und viele mehr. Am knackigsten erschien der früheren Beraterin von Helmut Kohl "Die Patin". Unter diesem Titel hat sie eine Art Generalabrechnung mit dem "System M" geschrieben.

Streckenweise liest sich das Buch vergnüglich wie eine Politsatire, wenngleich es bestimmt nicht als solche gemeint ist. Teils übt Höhler fundiert Sachkritik - etwa an der hektischen Art des Atomausstiegs nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Oft aber wirkt "Die Patin" wie eine Kampfschrift, ein Aufruf zum M-Sturz.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl schürt die konservative Intellektuelle die Unzufriedenheit mit Merkel in Teilen der Union. Deren älteren Männern wirft sie vor, mit "der Faust in der Tasche" feige gekniffen zu haben, als die "Alphawölfin im Schafspelz aus der trüben Ostkulisse" sich an den Sturz des Kanzlers der Einheit gemacht habe, um sich freie Bahn für ihre politische Karriere zu verschaffen.

Vor allem an der Macht sei Merkel interessiert. Und zwar in ganz Europa. Damit steht Höhler nicht allein. "Die Germanisierung Europas macht rasche Fortschritte", schrieb schon im Herbst 2011 Felix E. Müller, der Chefredakteur der "Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag", den Höhler zitiert: Merkel wolle ein Europa unter deutscher Führung. "Deshalb arbeitet sie auf die politische Union hin, die ihr den Durchgriff auf die inneren Verhältnisse der EU-Mitgliedsländer ermöglichen soll."

Selbst den Vergleich mit Nationalsozialismus und Kommunismus hält Höhler für angebracht: "Die Diktaturen des 20. Jahrhunderts boten andere Erfahrungen, was den politischen Stil angeht - obwohl die Anklänge nicht zu leugnen sind: die Marginalisierung der Parteien, der Themenmix aus enteigneten Kernbotschaften anderer Lager in der Hand der Regentin, ihre Nonchalance im Umgang mit dem Parlament, mit Verfassungsgarantien, Rechtsnormen und ethischen Standards." Damit nicht genug, warnt Höhler: "Der autoritäre Sozialismus, der im System M angelegt ist, nimmt eine Hürde nach der anderen, weil er auf Gewöhnung setzt." Zu übersehen scheint Höhler, dass Merkels Machtpolitik ja auch eine Lehre aus der Beobachtung des einst übermächtigen Ziehvaters sein könnte. Höhler lamentiert ausgiebig, Merkel habe CDU-Hoffnungsträger wie Merz, Koch oder Röttgen rausgedrängt.

Ob die Kanzlerin das Buch liest, ist ungewiss. Schwerer als Bücher wiegen für Politprofis die Umfragewerte. Laut ARD-Deutschland-Trend waren Anfang August 68 Prozent der Deutschen mit Merkels Arbeit zufrieden.