Jede Zeit hat ihre Kanzler. Angela Merkel unterscheidet sich deutlich von ihren beiden Vorgängern Helmut Kohl und Gerhard Schröder.

Jede Zeit hat ihre Kanzler. Angela Merkel unterscheidet sich deutlich von ihren beiden Vorgängern Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Sie hat sich in die männerdominierte Welt der Politik vorgekämpft. Worin unterscheidet sie sich von ihnen?

Erstens: Merkel ist von ihrer Herkunft diejenige, die für ihren sozialen Aufstieg die geringste Wegstrecke gehen musste: Sie stammt aus einem bürgerlich-akademischen Elternhaus, einem Pfarrhaus, in dem traditionell eine hohe Leistungsethik von den Kindern verlangt wurde. Keiner verband seinen sozialen Aufstieg so sehr mit seinem politischen Aufstieg wie Schröder: Gemessen an den kleinbürgerlichen Verhältnissen von Kohl war das Motiv Schröders, mithilfe der Politik aus seinem sozialen Außenseitertum auszusteigen, viel deutlicher lebens- und politikbestimmend.

Zweitens: Merkel ist ebenso wie Kohl und Schröder ein Machtmensch par excellence. Nur hat sie diese in ihr schlummernde Fähigkeit sehr viel später erlernen können als ihre Vorgänger. Die haben schon in ganz jungen Jahren Politik zu ihrem Beruf gemacht. Merkel hingegen war in der renommierten Akademie der Wissenschaften lange Jahre "normale" Arbeitnehmerin.

Drittens: Merkel stieß erst als 35-Jährige zur Politik. Auch deshalb hat sie von den drei letzten Kanzlern den geringsten Partei-"Stallgeruch". Sie kam zu ihrer Partei erst nach Umwegen über eine DDR-Bürgerrechtsbewegung, der sie erst etwa zwei Monate nach der Maueröffnung beitrat. Merkel war zwar in der Freien Deutschen Jugend (FDJ), hielt sich aber mit sonstigem politischen Engagement zurück. Kohl kam aus einem kleinbürgerlich-katholischen politischen Milieu, Schröder erhielt von seiner eigenen Mutter, einer armen Kriegerwitwe, keine politische Orientierung. Merkel emanzipierte sich politisch von ihrem links eingestellten Vater, der als "roter Kasner" bekannt war.

Viertens: Merkel wirkt nicht wie eine leidenschaftliche Vollblutpolitikerin, eher als eine Analystin des Hier und Heute. Ihre Ideologielosigkeit und ihr Pragmatismus pur machen sie für Konservative in ihrer eigenen Partei verdächtig. Die Lebenserfüllung der einstigen "Musterschülerin" ist es, sich durch Spitzenleistung zu verwirklichen, Selbstbestätigung in der von anderen anerkannten Leistung zu finden. Es fällt auf, dass sie höchst unterkühlt, fast sphinxhaft wirkt. Die ehemalige DDR-Bürgerin tut sich schwer in der Mitteilung ihrer Emotionen. Die eigenen Gefühle vor jedermann zu bewahren war im Stasi-Land die wichtigste Überlebensstrategie. Und als gelernte Physikerin beschäftigt sie sich mehr mit der Realität der Gegenwart, nicht mit geschichtlichen, historischen Konstellationen. Im Gegensatz zu Helmut Kohl ist sie alles andere als eine Geschichtsdeuterin. Bei ihm war Geschichte sein Lebensthema. Aber am Ende seiner Amtszeit verstand er nicht mehr das Internetzeitalter. Kohl war von den drei letzten Kanzlern der "ideologischste". Der Jurist Schröder hingegen verkörperte so etwas wie "Modernität". Er tat sich - wie Merkel - mit seiner eigenen Partei schwer. Auf viele in seiner eigenen Partei wirkte er ziemlich prinzipienlos. Für Kohl war seine Partei so etwas wie ein großer Familienverband, für Schröder und Merkel haben ihre Parteien mehr die Funktion der Absicherung ihrer Macht.

Schröders Verzicht auf den Parteivorsitz war der Beginn seines politischen Endes, denn in Deutschland sind die Parteien die Quelle der Macht. Kohl wäre nie auf diesen Gedanken gekommen, Merkel auch nicht.


Gerd Langguth hat einen Lehrstuhl für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn inne. Als Autor ist er bereits mit Biografien über Angela Merkel und Horst Köhler hervorgetreten. Sein neues Buch "Kohl, Schröder, Merkel. Machtmenschen" ist gerade bei dtv erschienen.