Streit zwischen Justizministerinnen im Bund und in Bayern. Ärztekammerpräsident Montgomery empört über “Sommertheater“.

Hamburg. Friedhelm "Timo" Konietzka wäre in diesen Tagen 74 Jahre geworden. Der frühere Bundesligaprofi und Trainer schoss 1963 in der ersten Minute des Spiels seiner Dortmunder Borussen gegen Werder Bremen das erste Tor der ersten Bundesligasaison. In seinen letzten Lebensjahren wohnte er in der Schweiz und setzte sich aufgrund gravierender Herz- und Krebserkrankungen mit aktiver Sterbehilfe auseinander. Dann formulierte Timo Konietzka seine eigene Todesanzeige. Er schrieb, dass seine Qualen nun ein Ende hätten. Am 12. März dieses Jahres schied Konietzka aus dem Leben.

Konietzkas Tod, ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes über den Umgang einer Familie mit einer Todkranken von 2010 und ein weiteres des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in diesem Jahr haben die Diskussion um Sterbehilfe neu entfacht. Da kam der Gesetzentwurf aus dem Hause von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gerade recht. Sie will gewerbsmäßige Sterbehilfe unter Strafe stellen, aber nahestehende Personen davon ausnehmen, wenn sie Gelegenheiten zum Selbstmord gewähren.

+++ Ausnahmen in der Schweiz und den Niederlanden +++

Doch das Ende des Lebens und die Umstände für die Sterbehilfe lassen sich kaum zwischen Gesetzesdeckel pressen. Jetzt hat Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) klargestellt, dass sie eine Straffreiheit für Ärzte ablehnt. Wenn nahe Angehörige, die Beihilfe leisten, nicht belangt werden können, sei das vernünftig, sagte Merk. Freunde oder Familienangehörige seien bei der Pflege unheilbar Kranker in einem "enormen Gewissenskonflikt". Anders sei das bei medizinischem Personal - vor allem bei Ärzten.

Zunächst hatte sich Bayern dafür ausgesprochen, dass grundsätzlich alle Personen straffrei bleiben, die die "ärztliche und pflegerische Betreuung" eines Suizidwilligen übernommen haben.

Der Gesetzentwurf Leutheusser-Schnarrenbergers sieht vor, dass Ärzte und Pfleger Beihilfe leisten dürfen, wenn sie in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu den Patienten stehen. Das lehnen die Mediziner ab. Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery sagte: "Das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus. Erst soll die gewerbsmäßige Sterbehilfe verboten werden, und dann will das Justizministerium die gesetzlichen Grundlagen für Ärzte als Sterbehelfer schaffen. Aber unsere Position ist klar, als Sterbehelfer stehen wir Ärzte nicht zur Verfügung."

+++ Bahr verteidigt Gesetzentwurf zur Sterbehilfe +++

Montgomery sagte, die Berufsordnung schreibe vor, dass Ärzte Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beistehen müssten. Töten auf Verlangen sei den Ärzten verboten, ebenfalls die Hilfe zur Selbsttötung. "Warum das Justizministerium grundlegende medizinethische Werte infrage stellt, Kompetenzen der Bundesländer ignoriert und einen Koalitionsstreit als Sommertheater inszeniert, bleibt unverständlich."

Dagegen sprang Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) seiner Kabinetts- und Parteikollegin bei. "Es ist ausdrücklich nicht das Ziel, Ärzte zu Sterbehelfern zu machen", sagte Bahr der "Passauer Neuen Presse". Es solle ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, "damit die Sterbehilfe eben nicht zum Geschäftsmodell wird".

Im Gespräch mit dem Abendblatt sagte der Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und CDU-Gesundheitsexperte Rudolf Henke: "Der Gesetzentwurf wirkt wie ein Aufruf, das ärztliche Berufsrecht auszuhebeln. Es reicht außerdem nicht, das gewerbliche Assistieren beim Suizid zu unterbinden. Man muss es erweitern auf organisierte Sterbehilfe." Denn dadurch verbiete man auch Vereine, die unter dem Mantel der Gemeinnützigkeit arbeiten. Auch die Ärzte sind durch die Debatte verunsichert. Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland strafbar. Wer jemanden auf dessen eigenen Wunsch hin tötet, wird mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Das Recht grenzt dabei aktives Tun vom bloßen Unterlassen ab. Passive Sterbehilfe nennt man den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Zulässig ist das, wenn der Abbruch dem erklärten Willen des Patienten entspricht. Bei Zweifeln müssen sich die Ärzte für das Leben entscheiden.

Beihilfe zum Suizid ist nicht strafbar. Damit ist es erlaubt, einem Lebensmüden die tödliche Dosis bereitzustellen. Allerdings wäre ein Sterbehelfer zur Rettung des Patienten verpflichtet. In der Schweiz haben Organisationen wie Exit oder Dignitas von sich reden gemacht. Dass sie nur gemeinnützig arbeiten, glauben Kritiker nicht. Möglicherweise fließt kein Honorar, dafür werden die Sterbehelfer im Erbe oder über Umwege finanziell bedacht.

In Hamburg machte der ehemalige Justizsenator Roger Kusch mit seinem Selbsttötungsautomaten von sich reden. Er hat nach eigenen Angaben mehrere ältere Damen beim Sterben begleitet. Derzeit ist er noch Vorstand im Verein Sterbehilfe Deutschland e.V. Mit der Formulierung im derzeitigen Gesetzentwurf ließe sich Kuschs Aktivität wegen der Gemeinnützigkeit seines Vereins vermutlich nicht unterbinden.

Der Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz-Stiftung, Eugen Brysch, lehnt den Gesetzentwurf ab. "Es wäre ein Startschuss für entsprechende Angebote." Geld spiele bei Anbietern von Sterbehilfe oft keine Rolle. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse sagen, wie der Streit in der Koalition zum Thema beendet werden solle.

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller, sagte der "WAZ"-Mediengruppe: "Das Gesetz wird so nicht kommen." In der Koalition fragt man sich, woher das besondere Interesse der Justizministerin an der Sterbehilfe rührt. Leutheusser-Schnarrenberger ist - das verschweigt ihre Homepage, belegt aber die Internetseite der Humanistischen Union (HU) - im Beirat der Organisation. Die HU setzt sich für selbstbestimmtes Sterben ein. Nach Auffassung der HU schließt das aktive Sterbehilfe ein.