Die neuen Vorsitzenden der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, wollen Rot-Rot-Grün ermöglichen – aber mit Oskar Lafontaine.

Hamburg. Als der Göttinger Bundesparteitag der Linken am ersten Juni-Wochenende zu Ende ging, fühlte sich Katja Kipping irgendwie elend. Eigentlich hätte sie nur glücklich und stolz sein müssen, denn wer wird schon mit 34 Jahren Vorsitzende einer Partei, die im Bundestag sitzt? Aber die frisch gewählte Parteichefin nahm ein Unbehagen in sich wahr. Die Partei hatte in Göttingen gezeigt, wie tief zerstritten sie ist, wie wenig versöhnlich sich Ost- und Westverbände gegenüberstehen. Oskar Lafontaine hatte mürrisch in die Kamera der Tagesschau gesprochen, dass das linke Projekt weitergehen müsse. Zum Schluss, am Sonntagabend, war Kipping in Anbetracht der neuen Aufgaben nur noch mulmig zumute.

Gut zwei Monate sind seitdem vergangen. Kipping und der Kovorsitzende Bernd Riexinger haben sich besser kennengelernt, haben Gemeinsamkeiten entdeckt, sie entwickeln Ideen und Pläne für das Wahljahr 2013. Sie haben sich vorgenommen, bekannter zu werden - vor allem innerhalb der Partei. In diesem Sommer bereisen beide die Landesverbände, am Freitag waren sie zu Besuch in Hamburg.

Was das Bekannterwerden betrifft, hat der 56-jährige Riexinger noch größeren Aufholbedarf. Der Gewerkschafter aus Baden-Württemberg fand auf der bundespolitischen Bühne bis vor zwei Monaten nicht statt. Selbst die eigene Partei kannte ihn kaum, doch in der Kampfkandidatur setzte er sich gegen den profilierten früheren Linken-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch durch. "Am Anfang hatte ich ein mulmiges Gefühl: Was hast du dir da aufgeladen?", sagt Riexinger im Abendblatt-Gespräch. "Jetzt merke ich, dass es gar nicht schlecht ist, wenn ein Parteichef 40 Jahre lang an der Basis gearbeitet hat." Er sei kein Newcomer, betont der Gewerkschafter. Er sei ja auch acht Jahre Landesvorsitzender der WASG und der Linken in Baden-Württemberg gewesen. Als Geschäftsführer des Stuttgarter Ver.di-Bezirks gehört Riexinger allerdings nicht zu der großen Gruppe frustrierter SPD-Mitglieder, die im Zuge der Agenda 2010 die WASG gründete. Das könnte der Partei strategisch von Nutzen sein, falls man sich eines Tages mit den Sozialdemokraten vielleicht wieder besser verstehen möchte.

Vorerst gilt für beide die Maßgabe, den Dauerstreit und die internen Feindschaften zu beenden. Kipping und Riexinger sind gewählt worden, um die Partei zu beruhigen und die Selbstbeschäftigung der vergangenen Jahre vergessen zu machen. Da kann es nur von Vorteil sein, dass die Amtsvorgänger Gesine Lötzsch und Klaus Ernst intern als nicht sonderlich gute Vorbilder gelten und auch keine großen politischen Fußstapfen hinterlassen haben.

+++++Auf der Suche nach Versöhnung - Lafontaine schmollt+++++

"Wir sind wieder in der Lage, Themen zu setzen", stellt Riexinger in Hamburg fest. Die Beschäftigung der Partei mit sich selbst habe nicht dabei geholfen, "unsere Inhalte in den Vordergrund zu stellen", räumt er zugleich ein. "Unsere Erfahrung ist: In der Partei gibt es 80 Prozent an Gemeinsamkeiten, 20 Prozent an Unterschieden." Jedenfalls sei nach zwei Monaten neuer Führung zu merken, dass die Linke zusammenwachse. "Die Arbeit trägt schon Früchte."

Eine "Aufbruchsstimmung in der Partei" stellt auch Kipping fest. Ihre Gefühlslage hat sich seit zwei Monaten verändert. Die Dresdner Bundestagsabgeordnete telefoniert viel, mit Landesvorsitzenden, Kreisvorsitzenden, holt sich Stimmungen zu den unterschiedlichsten Themen ein. Langsam beginnt die Vorbereitung für die Bundestagswahl 2013. Die 11,9 Prozent aus dem Jahr 2009 werden schwer zu wiederholen sein. Momentan ist die Parteispitze schon glücklich, wenn die Umfragewerte bei sieben Prozent und nicht bei sechs Prozent liegen. "Wenn wir mit einer Sieben in den Umfragen ins Wahljahr gehen, dann ist 2013 vieles möglich", sagt Riexinger. Die Umfragen würden zeigen, dass der Abwärtstrend gestoppt sei, ist der Parteichef überzeugt. Mit der Bundestagswahl im kommenden Jahr wird die Linke einmal mehr mit der Frage konfrontiert werden, wie sie es mit den Sozialdemokraten hält. Deren Parteichef Sigmar Gabriel findet die Linke unberechenbar und schließt eine Koalition mit der Partei auf Bundesebene aus. Doch wie geht die SPD mit der Linken um, falls es für Rot-Grün allein nicht reichen sollte? Es gilt als offenes Geheimnis, dass Teile des linken SPD-Flügels einer rot-rot-grünen Koalition im Notfall den Vorzug vor einer Großen Koalition geben würden. Auf dieses Szenario setzt die neue Doppelspitze und bietet sich SPD und Grünen als dritter Regierungspartner an. "Es liegt an der SPD, ob 2013 eine linke Mehrheit in Deutschland regieren kann", sagt Kipping. Noch versuche Rot-Grün einen Wahlkampf zu führen, der die Linke heraushalte. Das werde nicht funktionieren. Kipping stellt aber Bedingungen: "Wir wären sofort bei einer rot-rot-grünen Regierung dabei, die Waffenexporte verbietet, einen Mindestlohn einführt und die Hartz-IV-Sanktionen abschafft."

+++++Lafontaine-Lager gewinnt Machtkampf - Aufbruch oder Untergang?+++++

Riexinger verweist auf die Gemeinsamkeiten mit Rot-Grün: "Wenn SPD und Grüne ernst meinen, was sie als Oppositionsparteien sagen, dann haben wir Schnittstellen mit ihnen." Noch zweifelt er, "ob Rot-Grün ernsthaft den Politikwechsel will". Wer mit der Linken bereit sei, zum Beispiel einen guten Mindestlohn und eine armutsfeste Rente statt einer Rente mit 67 zu machen, "kann mit uns regieren", sagt er und will die SPD auch provozieren: Die SPD müsse sich entscheiden, ob sie die Vizekanzlerschaft anstreben oder ein Reformbündnis schmieden wolle.

Ganz gleich, ob der Kanzlerkandidat Gabriel, Steinmeier oder Steinbrück heißen wird - alle drei haben ihre Probleme mit Oskar Lafontaine. Mit dem früheren SPD-Chef zusammenzuarbeiten käme der Kandidaten-Troika einem Verrat gleich. Kipping aber appelliert an die SPD, Lafontaine bei einer möglichen Koalition zu akzeptieren. "Wir würden uns auch nicht verweigern, mit den Architekten der Agenda 2010, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, zusammenzuarbeiten, wenn es gemeinsame politische Ziele gäbe." Wenn es einen Politikwechsel geben solle, dann müsse man "gewisse Feindseligkeiten" beiseitelegen. Sie sagt, sie wünsche sich, "dass Personen wie Oskar Lafontaine und Gregor Gysi weiter ganz stark das Gesicht der Partei prägen". Auch Riexinger deutet eine Rückkehr Lafontaines in den Bundestag an. Er sagt: "Die saarländischen Genossen haben sicher nichts dagegen, wenn Oskar Lafontaine für den Bundestag kandidiert. Die Entscheidung darüber trifft er selbst. Wir sind über jede Unterstützung Lafontaines dankbar."