Im 20. Jahr des Mauerfalls hat Bundeskanzlerin angela Merkel zum ersten Mal ein früheres Stasi-Gefängnis besucht. Ihr Fazit: Gegen das Vergessen leistet die Gedenkstätte einen wichtigen Beitrag.

Berlin. „Republikflucht im schweren Fall und hetzerische Verleumdung“ – mit diesen Anschuldigungen kam Manfred Haferburg im September 1989 in das zentrale Untersuchungsgefängnis der DDR- Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. Verurteilt wurde er nicht mehr, weil die Berliner Mauer bereits wankte. Wenige Tage vor ihrem Fall am 9. November 1989 verfrachteten Stasi-Leute den Ingenieur in ein Auto und warfen ihn im Ortsteil Köpenick mit verbundenen Augen aus dem Wagen. „Ich dachte, die erschießen mich noch“, schilderte Haferburg.

Der Dienstag war ein großer Tag für den früheren Untersuchungshäftling. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kam in die heutige Stasiopfer-Gedenkstätte und schüttelte auch dem 60-Jährigen die Hand. „Ich empfinde diesen Besuch als Würdigung und als Zeichen gegen die Verharmlosung der DDR-Diktatur – und das tut gut“, sagte Rademacher sichtlich aufgewühlt.

Auch die Kanzlerin zeigte sich beeindruckt, als sie am Gedenkstein für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft einen Kranz mit weißer Gerbera und Lilien niederlegt. Mit gesenktem Kopf verharrte sie in schweigendem Gedenken. Zuvor hatte sie original erhaltene Zellen und Verhörräume besichtigt, auch das Kellerverlies, von den Häftlingen seinerzeit unter dem Schreckensnamen „U-Boot“ gefürchtet.

Es war das erste Mal, dass ein Bundeskanzler an den einstigen Leidensort kam. Im 20. Jahr des Mauerfalls hat die aus dem Osten stammende CDU-Spitzenfrau auch schon der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen einen Besuch abgestattet. Gegen das Vergessen leiste die Stasiopfer-Gedenkstätte einen wichtigen Beitrag, sagte Merkel. Hier werde ein dunkles Kapitel der DDR gezeigt. Zugleich mahnte sie, die Erinnerung an die DDR-Diktatur nicht auszublenden.

Merkel versprach: Der Bund werde alles tun, damit die authentische Gedenkstätte eine Zukunft hat. In der vom Bund und dem Land Berlin finanzierten Stätte sollen bis 2011 eine Dauerausstellung aufgebaut sowie Foyer und Garderoben für Besucher eingerichtet werden. Dafür stehen 13 Millionen Euro bereit.

DDR-Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley, Jürgen Fuchs, Rudolf Bahro und Walter Janka saßen in Hohenschönhausen. Der Ort mit zermürbender Einzelhaft und völliger Isolation der Gefangenen war auf DDR-Landkarten ein weißer Fleck. Viele der Stasi-Offiziere von einst wohnen noch heute ringsum. Er habe nach der Wende seinen einstigen Vernehmer in einem Kaufhaus getroffen, berichtete der frühere Häftling Gilbert Furian. „Der hat mir auf die Schulter geklopft – wie einem alten Freund.“

Doch im Gegensatz zu den meisten Unbelehrbaren habe sich der Stasi-Offizier bei ihm entschuldigt, sagte Furian. Der 64-Jährige erzählt heute den Besuchern bei Rundgängen von dem, was er als Stasi-Häftling durchmachen musste. Seine Überlebensstrategie war: „Ich hab mich wie ein bedrohtes Tier tot gestellt.“ Heute belaste ihn die Vergangenheit nicht mehr. Auch Haferburg hat die Verbitterung hinter sich gelassen und sich sogar zu der Sicht durchgerungen: Viele Täter seien auch Opfer des DDR-Systems gewesen.

Eine viertel Million Besucher kam im letzten Jahr – Tendenz steigend. Doch die meisten reisten aus den alten Bundesländern an, beklagt Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe. „Hier kann man sehen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war.“ Doch das wollten viele Ostdeutsche nicht wahrhaben. Ihn störe auch, dass sich Linke-Parteichef Oskar Lafontaine, der einst als SPD-Politiker bei SED-Chef Erich Honecker auf dem Schoß gesessen habe, der Kanzlerin Vorwürfe zu ihrer DDR-Vergangenheit mache.

Der 18-jährige Jonas aus Neuwied in Rheinland-Pfalz durfte bei einer Diskussion mit der Kanzlerin dabei sein. Er habe erst hier in der Gedenkstätte erkannt, wie brutal die Stasi gewesen sei, sagte der Abiturient der dpa. Er war mit seiner Klasse das erste Mal in der Hauptstadt. Das mit der Stasi sei ja alles vor seiner Zeit gewesen, so der Schüler. „Aber es soll nicht noch mal vorkommen.“ Und dass die Kanzlerin „so locker auf uns zugekommen ist“, sei was Besonderes gewesen.