Merkel macht auf EU-Gipfel deutliche Zugeständnisse an Schuldenländer. Bundestag stimmt ESM und Fiskalpakt zu

Berlin/Brüssel. Nur wenige Stunden nach dem dramatischen Ausscheiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der EURO in Warschau hat sich Deutschland auch auf dem Euro-Gipfel in Brüssel nicht gegen Italien durchsetzen können. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte auf Druck von Italiens Premier Mario Monti überraschend deutliche Zugeständnisse an die südlichen Schuldenstaaten. Sie sollen jetzt leichter Unterstützung von den Rettungsschirmen EFSF und ESM erhalten - und dabei keine zusätzlichen Sparprogramme starten müssen. Der ESM soll zudem Banken aus verschuldeten Ländern direkt Hilfen gewähren.

Beides hatte die Kanzlerin zuvor abgelehnt. Noch unmittelbar vor Gipfelbeginn wurde jegliche Aufweichung der ESM-Regeln ausgeschlossen. "Monti - Merkel 2:1, könnte man sagen", bilanzierte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. "Die Kanzlerin musste erneut einstmals als rote Linien definierte Positionen aufgeben."

Auch bei Union und FDP gab es Kritik: Der europapolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Thomas Silberhorn, hält den ESM für ungeeignet, um die Euro-Krise zu lösen. FDP-Finanzexperte Frank Schäffler nannte die direkten Hilfen für Not leidende Banken einen "erneuten Dammbruch" zulasten der Steuerzahler. Gegen den ESM und auch den Fiskalpakt sind rund 12 000 Anträge und Klagen beim Bundesverfassungsgericht angekündigt.

Der Bundestag billigte beide Gesetze am Freitagabend trotz der Kritik mit breiter Mehrheit. ESM und Fiskalpakt wurden mit zwei Dritteln der Stimmen verabschiedet. Bei ihrer Regierungserklärung hatte Merkel zuvor die Brüsseler Beschlüsse als "gut und vernünftig" verteidigt. Deutschland müsse "ein Signal der Geschlossenheit und Entschlossenheit nach innen und außen" senden, forderte sie. Am späten Abend wurde auch die Zustimmung des Bundesrates erwartet.

Noch am Mittag hatte der gesamte Entscheidungsprozess auf der Kippe gestanden: Wegen der Irritationen über die Gipfelbeschlüsse wurde überraschend eine Sondersitzung des Haushaltsausschusses einberufen. Vor ihrer Zustimmung wollten sich die Abgeordneten von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über die Konsequenzen der Ergebnisse aufklären lassen. "Den vollmundigen Ankündigungen der Kanzlerin ist Ernüchterung gefolgt", sagte SPD-Haushälter Johannes Kahrs dem Abendblatt. "Die Kanzlerin hat sich erpressen lassen." FDP-Politiker Jürgen Koppelin schlug vor, die Abstimmung ganz zu verschieben.

Dass Merkel sich auf dem EU-Gipfel zum ersten Mal seit langer Zeit nicht durchsetzen konnte, lag vor allem an der Hartnäckigkeit Montis und seinem spanischen Amtskollegen Mariano Rajoy. Beide Länder hatten den schon sicher geglaubten Wachstumspakt blockiert, den Merkel und Monti gemeinsam mit Spanien und Frankreich erst vor einer Woche in Rom verkündet hatten - und zwar so lange, bis sie ihre Forderungen durchsetzen konnten.

Merkel, die schon am Freitagmittag wegen der Bundestagssitzung zurück in Berlin sein musste, stand unter massivem Druck. In den frühen Morgenstunden gab sie nach.