Berlin. Nach jahrelanger Kritik wichtiger Handelspartner wird Deutschland 2012 seine Visa-Praxis erheblich erleichtern. Nach Schätzung des Auswärtigen Amtes dürften etwa die Hälfte der zwei Millionen Antragsteller und Tausende Firmen weltweit von einer Liberalisierung profitieren. Treibende Kräfte sind dabei vor allem das Auswärtige Amt, eine interfraktionelle Gruppe im Bundestag sowie die deutsche Wirtschaft. "Ich setze mich für eine liberale Visa-Politik ein, die die Rolle Deutschlands in der globalisierten Welt widerspiegelt", sagte Außenminister Guido Westerwelle gestern. "Deutschland lebt von seiner Offenheit und Vernetzung."

Kernelemente der neuen Erleichterungen sind die folgenden: Visumsanträge für Deutschland können künftig per Internet gestellt werden. Die Zahl der angeforderten Dokumente wird erheblich reduziert. Zudem werden wesentliche Teil der Visa-Beantragung an kommerzielle Dienstleistungsunternehmen ausgelagert und die Pflicht zum persönlichen Erscheinen gerade für Geschäftsleute verringert. Auch einige deutsche Auslandshandelskammern können künftig für die Visa-Beantragung genutzt werden. Drittens wird die Bearbeitungszeit für ein Visum auf maximal 72 Stunden beschränkt - im Schnitt soll sie sogar auf einen Tag sinken. Dies spielt vor allem in Flächenländern wie Russland eine große Rolle, wo Antragsteller bisher teure, zeitaufwendige Reisen bis in ein deutsches Konsulat unternehmen müssen, um ein Visum beantragen zu können. Gerade in Ländern mit hohen Visa-Aufkommen wie Russland steige zudem die Vergabe von Jahres- oder Mehrjahresvisa.

Westerwelle widersprach der Einschätzung von Innenpolitikern, dass eine restriktive Visa-Vergabe die Sicherheit Deutschlands erhöhe. "Das steht nicht im Widerspruch zu unseren Sicherheitsinteressen", sagte er in Bezug auf die Liberalisierung. Der Geschäftsführer des Ostausschusses, Rainer Lindner, geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert die völlige Abschaffung der Visa. "Biometrische Pässe sind ohnehin das wesentlich effektivere Mittel bei der Einreisekontrolle", sagte er. Durch die Politik entstünden derzeit jährliche Kosten von mehreren Hundert Millionen Euro pro Jahr.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits im Juli bei einem Besuch des russischen Präsidenten Dimitri Medwedew eingeräumt: "Man muss klar sagen, dass Deutschland hier der Bremser war und nicht Europa." Schon damals hatte sie angedeutet, dass die Bundesregierung 2012 neue Vorschläge vorlegen werde. Als "Bremser" einer Liberalisierung innerhalb der Regierung gelten bisher vor allem das Innenministerium und die CSU.