Leitzins wird auf ein Prozent gesenkt und die Mindestreserve der Institute halbiert

Frankfurt. Die EZB greift im Kampf gegen die Schuldenkrise und eine drohende Rezession abermals ganz tief in ihren Werkzeugkasten: Sie flankiert das politische Ringen um eine baldige Lösung mit einer intern umstrittenen Leitzinssenkung auf ein Prozent, enttäuschte jedoch Hoffnungen auf massive Staatsanleihenkäufe. Zugleich erleichterte die Notenbank überraschend deutlich die Refinanzierung der Banken. Erstmals seit der Einführung des Euro halbiert die Zentralbank die Mindestreserve auf ein Prozent - also den Anteil der Einlagen, den Banken bei der EZB stets parken müssen.

EZB-Beobachter Michael Schubert ist von der Wirkung dieser faustdicken Überraschung überzeugt: "Dadurch werden über den Daumen gut 100 Milliarden Euro für die Banken verfügbar." Ein deutscher Investmentbanker jubelte: "Das ist eine riesige Erleichterung angesichts einer drohenden Kreditklemme." Nun sei der Ball im Spielfeld der Politik. Sie müsse die Ursachen der Krise beseitigen.

Der erst seit einem Monat amtierende EZB-Chef Mario Draghi hielt ganz in diesem Sinne wenige Stunden vor Beginn des entscheidenden EU-Krisengipfels in Brüssel den Druck auf die Regierungen hoch: "Wir wollen den EU-Vertrag nicht umgehen. Der Vertrag verbietet die Finanzierung von Staaten", betonte Draghi in Frankfurt. "Wir sollten den Geist des Vertrages respektieren." In den vergangenen Wochen waren vor allem in Frankreich und an den Finanzmärkten Forderungen laut geworden, die EZB solle durch unbegrenzte Staatsanleihenkäufe klammen Euro-Ländern zu Hilfe kommen.

Der EZB-Rat senkte den Leitzins für die 17 Mitgliedsländer der Währungsunion erwartungsgemäß um einen Viertelprozentpunkt wieder auf das bis März gültige Krisenniveau von einem Prozent. Am Finanzmarkt war dieser Beschluss erwartet worden. Allerdings fiel er nach Draghis Worten nicht einstimmig. Es sei kein größerer Zinsschritt diskutiert worden. Uneinigkeit habe es über den Zeitpunkt der Zinssenkung gegeben. Bei der ersten Leitzinssenkung seit zweieinhalb Jahren im November hatten Bundesbank-Chef Jens Weidmann und Chef-Volkswirt Jürgen Stark die Entscheidung überraschend mitgetragen.

Draghi zeichnete bei seiner zweiten Pressekonferenz als EZB-Chef alles in allem ein recht düsteres Bild der konjunkturellen Entwicklung in den kommenden Monaten. Die nächste Zukunft sei von der Schuldenkrise und der sich daraus ergebenden Abschwächung der Wirtschaftsaktivität geprägt, erklärte der Italiener. Dies wird auch in den aktualisierten Prognosen der EZB-Volkswirte deutlich. Sie senkten ihre Wachstumsprognose für das kommende Jahr auf minus 0,4 bis plus 1,0 Prozent von plus 0,4 bis 2,2 Prozent. Die Teuerungsrate werde noch einige Monate über dem EZB-Zielwert von zwei Prozent liegen, dann aber fallen, sagte Draghi.

Er reiste unmittelbar nach der Pressekonferenz nach Brüssel zum Euro-Krisen-Gipfel.