Deutschland gibt das Kommando der “Atalanta“-Mission ab. Nach drei Jahren Einsatz weniger Überfälle, aber höhere Lösegeldzahlungen.

Hamburg/Dschibuti. Thomas de Maizières Adventsbesuch im afrikanischen Dschibuti ist keine Siegesfeier: Zwei Tage war der deutsche Verteidigungsminister (CDU) vor Ort, um zu sehen, wie die europäische Anti-Piraten-Mission "Atalanta" unter dem viermonatigen deutschen Kommando gelaufen ist. 530 deutsche Marinesoldaten sichern zurzeit die Küste Somalias. Es ist nach Afghanistan und dem Kosovo der drittgrößte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Doch das Fazit klingt ernüchternd: "Was militärisch geleistet wird, ist erfolgreich, was politisch geleistet wird, ist nicht genug."

Die Worte des Ministers schmeicheln zwar den am Horn von Afrika eingesetzten Bundeswehrsoldaten. Doch sie bedeuten auch, dass alle bisherigen Versuche, die Piraterie vor der Küste Somalias einzudämmen, ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Zwar werde drei Jahre nach dem Beginn des Auslandseinsatzes nicht mehr jedes vierte, sondern nur noch jedes 14. Schiff gekapert. Die erpressten Lösegelder erreichen aber Schätzungen zufolge in diesem Jahr mit mindestens 140 Millionen US-Dollar einen neuen Rekord.

Doch auch in anderer Hinsicht bedeutet die Piraterie einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsverlust, meint Professor Uwe Jenisch, Experte für internationales Seerecht. Denn das Militär hat zwar den Auftrag, Schiffe mit humanitären Hilfsgütern für die somalische Bevölkerung vor Übergriffen zu schützen. Deutsche Handelsschiffe müssten sich jedoch mit eigenem Sicherheitspersonal gegen Piraten wehren und wegen des Risikos, überfallen zu werden, zudem stark gestiegene Versicherungsprämien hinnehmen. "Letztlich zahlt das der Verbraucher."

Einen erweiterten Militäreinsatz sieht der Kieler Dozent dennoch kritisch. "Vor der Küste Somalias gibt es etwa 1700 deutsche Schiffsbewegungen pro Jahr. Das macht etwa fünf deutsche Schiffe pro Tag. Eine solche Überwachung kann die Bundeswehr nicht leisten", sagt er. Abgesehen davon bekämpfe das Militär nur die Symptome, nicht aber die Ursachen von Piraterie.

"Es ist das Versagen der Staatengemeinschaft, dass sie in Somalia katastrophale Lebensumstände duldet. Dort gibt es seit 20 Jahren keinen regulären Schulunterricht mehr. Außerdem ist die Ernährungslage äußerst kritisch. Da muss man sich nicht wundern, dass junge Menschen keinen anderen Ausweg aus ihrer Armut sehen, als sich von Piraten anheuern zu lassen."

Doch selbst wer als Pirat gefasst werde, lande häufiger wieder im kriminellen Geschäft. Denn die Beweislage reiche häufig nicht für eine Anklage aus, erklärt Jenisch. Die Folge: Piraten müssen wieder an Land gesetzt werden.

"Das fängt schon mit der Identifizierung an. Diese Leute haben keine Ausweispapiere. Dann muss man jedem einzelnen seine Taten nachweisen, Fingerabdrücke nehmen, Spuren sichern. Das heißt: Soldaten müssen Polizeiarbeit machen. Die sind dafür aber gar nicht ausgebildet", sagt er. Dem widerspricht Hauke Bunks, Sprecher für maritime Operationen der Bundeswehr. Die Soldaten seien speziell für den Einsatz vor Ort geschult. Zudem seien an Bord der Marineschiffe stets auch Juristen, die bei der Einschätzung der Rechtslage helfen würden. "Sollten ein deutsches Schiff, ein deutscher Reeder oder Teile der Besatzung deutsch sein, wird geprüft, ob Anklage in Deutschland erhoben wird", erklärt er. Dies werde jedoch nicht vom Militär entschieden, sondern mit dem Justiz- und Innenministerium abgesprochen. So sei das auch im Fall der zehn somalischen Piraten geschehen, denen seit einem Jahr vor dem Hamburger Landgericht der Prozess gemacht wird.

Das komplizierte Verfahren ist ein Grund, warum Piratenjäger wie Deutschland wenig Interesse an einer Strafverfolgung im eigenen Land haben, vermutet Jenisch. Ein anderer ist, dass Piraten nach Absitzen ihrer Strafe unter Umständen auch einen Asylantrag stellen können, meint der Experte. Denn Somalia gehöre zu jenen Ländern, in denen derart unsichere Lebensverhältnisse herrschten, dass eine Abschiebung dorthin nicht zu verantworten sei. Auf Anfrage, wie die Chancen somalischer Piraten, in Deutschland zu bleiben, denn stünden, antwortet das Bundesinnenministerium vage. Es müsse immer im Einzelfall geprüft werden, ob Asylgründe vorliegen. Diese bestehen in der Regel dann, wenn dem Antragsteller in seinem Heimatland politische Verfolgung, Folter oder Hinrichtung drohen. Nicht gewährt werde Asyl im Normalfall, wenn der Antragsteller schwere Straftaten begangen habe. Es gebe aber Fälle, in denen eine Abschiebung trotz Asylausschlussgründen aus "faktischen Hindernissen" nicht vorgenommen werden könne.

Seerechtsexperte Jenisch sieht diese Gründe bei somalischen Piraten gegeben: Diese hätten in ihrem Land wenig Chancen auf einen ehrlichen Lebenserwerb. "Das humanitäre Problem ist ungeheuer, aber davor verschließt man die Augen."