Das Bundesverfassungsgericht hat die Fünf-Prozent-Klausel bei der Europawahl als verfassungswidrig erklärt. Wäre das Urteil zwei Jahre fürher gefallen, wären 2009 unter anderem die Republikaner nach Straßburg gezogen.

Karlsruhe/Wiesbaden. In Deutschland gibt es bei der Europawahl künftig keine Fünf-Prozent-Hürde mehr. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erklärte am Mittwoch die Sperrklausel für verfassungswidrig und nichtig, weil sie gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien verstoße. Nach Einschätzung der Karlsruher Richter wird die Funktionsfähigkeit des Europaparlaments durch den nun möglichen Einzug von kleinen Parteien aus Deutschland nicht beeinträchtigt.

Der Zweite Senat urteilte über die Wahlprüfungsbeschwerden des Staatsrechtsprofessors Hans Herbert von Arnim und von zwei weiteren Wählern gegen die letzte Europawahl von 2009 . Der nun festgestellte Wahlfehler führe allerdings nicht dazu, die Europawahl von 2009 für ungültig zu erklären und eine Neuwahl anzuordnen, betonte das Verfassungsgericht. Bei der nächsten Europawahl im Jahr 2014 wird es aber in Deutschland keine Fünf-Prozent-Hürde mehr geben. Laut Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle ging es bei dem Urteil „auch um Machtfragen und die politische Kultur“ in Deutschland.

Von Arnim sprach von einem „guten Tag für die Demokratie“. Das Urteil werde den Parteienwettbewerb beleben. Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen, Thomas Oppermann und Volker Beck, gehen nicht davon aus, dass die Entscheidung eine Auswirkung auf die Fünf-Prozent-Klausel bei Bundestagswahlen haben wird. Im Gegensatz zum Bundestag wähle das EU-Parlament keine Regierung, die auf seine andauernde Unterstützung angewiesen sei, sagte Beck. Linke-Amtskollegin Dagmar Enkelmann forderte hingegen, die Klausel auch bei Bundestagswahlen abzuschaffen.

Das Urteil des Zweiten Senats fiel nur denkbar knapp mit 5 zu 3 Richterstimmen. Zwei Richter gaben eigens ein Sondervotum ab. Sie halten die Klausel für gerechtfertigt, um eine „Zersplitterung“ des Europaparlaments zu verhindern. „Mit der isolierten Aufhebung der deutschen Fünf-Prozent-Sperrklausel wird im europäischen Umfeld ein Sonderweg beschritten“, hieß es im Sondervotum.

Sperrklausel in 11 von 27 EU-Mitgliedstaaten

Das europäische Wahlrecht erlaubt den Mitgliedstaaten eine Hürde von maximal fünf Prozent, schreibt sie aber nicht vor. Das Verfassungsgericht wies bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass insgesamt 11 der 27 Mitgliedstaaten eine Sperrklausel haben, die jedoch meist unter fünf Prozent liege.

Dem Urteil zufolge bewirkt die Fünf-Prozent-Hürde eine „Ungleichgewichtung der Wählerstimmen“. Denn die Stimmen für Parteien, die an der Sperrklausel gescheitert sind, blieben letztlich „ohne Erfolg“. Dadurch, dass Parteien, die weniger als fünf Prozent der Stimmen erhalten, keine EU-Abgeordneten entsenden dürften, fielen bei der Europawahl 2009 rund 2,8 Millionen deutsche Wählerstimmen unter den Tisch.

Laut Verfassungsgericht ist zu erwarten, dass ohne die Sperrklausel in Deutschland die Zahl der nur mit einem oder zwei Abgeordneten im Europaparlament vertretenen Parteien zunimmt. Ohne Sperrklausel in Deutschland wären statt aktuell 162 dann 169 Parteien im Europäischen Parlament vertreten. Dies würde eine „mehrheitsfähige Willensbildung“ aber nicht über Gebühr erschweren, hieß es im Urteil.

Die Kläger hatten auch gerügt, die Wähler könnten nur Parteien und deren feststehenden Kandidatenblock ankreuzen, nicht aber einzelne Kandidaten. Das Gericht billigte aber diese Wahl nach „starren“ Listen.

Kleinparteien unter fünf Prozent

Ohne die für verfassungswidrig erklärte Fünf-Prozent-Hürde wären bei der letzten Europawahl 2009 aus Deutschland zusätzlich folgende sieben Parteien in das Europäische Parlament eingezogen: Freie Wähler, Die Republikaner, Die Tierschutzpartei, Familien-Partei Deutschlands, Piratenpartei Deutschland, Rentner-Partei Deutschland und die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). (Quelle: Bundeswahlleiter)

Mit Material vpn dpa und dapd