Verfassungsrichter erlassen einstweilige Anordnung gegen Geheimgremium. Gesamter Bundestag muss Entscheidungen über EFSF treffen.

Berlin. Die Freude über den erfolgreichen Euro-Gipfel währte in Deutschland nur 24 Stunden. Das Bundesverfassungsgericht hat nach einer Klage der SPD-Abgeordneten Swen Schulz und Peter Dankert einen wichtigen Teil der Verfahrensregeln für die deutsche Beteiligung an Nothilfen des Euro-Rettungsfonds EFSF vorläufig gestoppt. Die Entscheidungsrechte des Bundestages dürfen nicht von einem Sondergremium aus lediglich neun Parlamentariern wahrgenommen werden, entschied der Zweite Senat im Eilverfahren. Die Bundesregierung müsste nun für weitere Hilfsmaßnahmen die Zustimmung des gesamten Bundestages einholen (Az.: 2 BvE 8/11).

Zur Begründung hieß es, bis zur Entscheidung in der Hauptsache "könnte das Sondergremium Entscheidungen treffen, die die Statusrechte der Antragsteller im Hinblick auf die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berühren". Eine Verletzung der Abgeordnetenrechte wäre auch nicht mehr rückgängig zu machen, wenn Deutschland völkerrechtlich bindende Verpflichtungen übernimmt.

+++ Verheddert bei der Euro-Rettung +++

Nach dem vor wenigen Wochen verabschiedeten Stabilisierungsmechanismusgesetz sollten dringende oder geheime Entscheidungen über Maßnahmen des Rettungsfonds EFSF von einem speziellen Gremium getroffen werden. Ihm gehören für die Unionsfraktion Norbert Barthle, Bartholomäus Kalb und Michael Stübgen an. Otto Fricke und Michael Link repräsentieren die FDP. Für die SPD nehmen Lothar Binding und Carsten Schneider teil. Die Linke stellt Dietmar Bartsch, die Grünen Priska Hinz. Bei Notmaßnahmen zur Verhinderung von Ansteckungsgefahren auf andere Länder wurde stets von besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit ausgegangen, sodass das Sondergremium hier immer zuständig wäre. In allen übrigen Fällen hätte die Regierung Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit geltend machen können, sodass auch dann das Sondergremium verantwortlich gewesen wäre.

+++ Merkel: Euro-Krise ist noch nicht gebannt +++

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte, ein konkreter Entscheidungsbedarf des Bundestages zu weiteren Rettungsmaßnahmen sei nicht absehbar. "Falls bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache, die wir möglichst bald erwarten, ein solcher Entscheidungsbedarf entstehen sollte, müsste und könnte er vom Deutschen Bundestag als Plenum wahrgenommen werden", so Lammert. Der Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Kahrs, forderte, den Haushaltsausschuss mit eiligen Entscheidungen über Euro-Hilfen zu befassen. "Man kann den Haushaltsausschuss innerhalb eines Tages zusammenrufen", sagte Kahrs dem Abendblatt. Wenn es um Milliarden gehe, dann müsse so etwas funktionieren, betonte der SPD-Politiker, der Mitglied im Haushaltsausschuss ist. "Notfalls hat jedes Mitglied des Haushaltsausschusses einen Stellvertreter, der einspringen kann." Kahrs appellierte an Schwarz-Gelb: "Die Koalition tut gut dran, den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts der stärkeren Parlamentsbeteiligung ab sofort ernst zu nehmen. Es ist unglaublich, wie die Koalition sehenden Auges in dieses Fiasko rennen konnte."

+++ Das müssen Sie über den Euro-Rettungsschirm wissen! +++

Für die 440 Milliarden Euro des EFSF bürgt Deutschland mit 211 Milliarden Euro. Aktuell hätte in dem Gremium noch nichts entschieden werden müssen. Die Leitlinien des Rettungsschirms sollen erst im November von den Euro-Finanzministern fertiggestellt werden. Darin ist auch die umstrittene Hebelung der EFSF-Milliarden geregelt, auf die sich der Euro-Gipfel geeinigt hatte. Der Schuldenschnitt in Griechenland, der Hilfsmaßnahmen des EFSF nötig machen dürfte, ist erst für Anfang 2012 geplant.

Aus Frankfurter Finanzkreisen hieß es, beim Ankauf von Staatsanleihen als Maßnahme gegen die Krise sei die Geheimhaltung von großer Bedeutung. Falls publik werde, dass der EFSF Staatsanleihen von einem Euro-Krisenstaat kaufen wolle, könne dies den Druck auf das Land und dessen Refinanzierung noch weiter erhöhen. Dies könnte "auch Spekulanten in die Händespielen", so ein Finanzexperte.