Auf dem 76. Parteitag in Nürnberg erinnern die Christsozialen an die Versäumnisse der Vergangenheit in der Europapolitik.

Nürnberg. Sie wollten zeigen, dass sie auf der Höhe der Zeit sind. Den 76. Parteitag der CSU in Nürnberg eröffnete Parteichef Horst Seehofer mit einem eigenen Facebook-Profil - kürzlich hatte er sich fast bewundernd über die Piratenpartei geäußert. Im Praxistest wirkte er aber etwas hilflos. Mithilfe der Internetbeauftragten der Partei, der stellvertretenden Generalsekretärin Dorothee Bär, fand er endlich den Zugang zum Netz und den "Gefällt-mir-Button".

Der Blick in die Zukunft war am ersten Tag des Parteitags aber über weite Strecken nur ein virtueller. In der mit Spannung erwarteten Debatte über die Europapolitik der CSU wurden Versäumnisse und Verdienste, insgesamt aber vor allem die Vergangenheit beschworen. Es wurden viele Jahreszahlen aufgezählt. Die älteste war 1871, das Jahr der Reichsgründung. Fast jeder Redner erinnerte daran, dass CSU-Abgeordnete 2000 gegen den Beitritt Griechenlands zur Euro-Zone gestimmt hatten. Dass es die CSU war, die 2004 gegen die Aufweichung der Stabilitätskriterien eintrat. Es war ein selbstzufriedener Blick zurück. Freilich konnte die CSU diese Fehlentwicklungen auch nicht verhindern.

Offensiv war man in der Bewertung der vergangenen Entscheidungen, defensiv in der Bewertung der Gegenwart. Die Verteidiger des Euro richteten ihr Augenmerk wieder zurück, auf die DM-Zeiten. "War denn damals wirklich alles paletti?", fragte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt. Sie erinnerte an eine Pfund-Krise Anfang der 90er, als laut Hasselfeldt die Bundesbank mit 100 Milliarden Euro einspringen musste. Auch der ehemalige Vorsitzende Theo Waigel rechnete vor, was passieren würde, wenn es die D-Mark noch geben oder wenn sie wieder eingeführt würde. Bayerns Export würde einen Verlust von 20 bis 30 Milliarden Euro verkraften müssen.

Die Delegierten konnten all diese Reden nicht begeistern. Nur wenige beklatschten Hasselfeldts pathetisches Bekenntnis zur EU als "größtes und erfolgreichstes Projekt unserer Geschichte". Da mischte sich Horst Seehofer ein. Auch er erinnerte an alte Zeiten: Mit einem Zitat von Franz Josef Strauß wollte er den Parteitag wecken: "Bayern ist unsere Heimat, Deutschland ist unser Vaterland, Europa ist unsere Zukunft." Engagiert schilderte Seehofer die Vorzüge der EU und der gemeinsamen Währung, die vor allem Bayern zugute kämen. Man müsse aber auch über die Schwächen reden dürfen. Er warnte die Partei davor, sich in Europäer und Europaskeptiker aufspalten zu lassen.

Seehofer versuchte dem Eindruck entgegenzuwirken, dass die Leidenschaft der CSU für Europa erkaltet sei. Dieser Eindruck war vor allem durch den Leitantrag geweckt worden, der im Vorfeld für Aufsehen sorgte. Er spricht sich dafür aus, dass Schuldenländer die Euro-Zone auch wieder verlassen können. Er redet von Umschuldung. Wer gemeint ist, ist klar: "Griechenland ist pleite", sagte Generalsekretär Alexander Dobrindt vor dem Parteitag. Dennoch sagte der überzeugte Europäer Theo Waigel: "Das ist ein gutes Papier". Er resümierte im Sinne von Leibniz: "Wir leben in der besten aller Zeiten."

Wie es allerdings nun weitergehen soll, das dürfte den Delegierten nicht klar geworden sein. Wie soll der Weg zur viel beschworenen Stabilitätsunion aussehen? Was passiert, wenn die roten Linien, von denen Horst Seehofer spricht, doch überschritten werden? Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht bereits von der Notwendigkeit einer neuerlichen Stützung europäischer Großbanken.

Aber trotz dieser unionsinternen Differenzen hat sie bei ihrem Grußwort die Gemeinsamkeiten mit der CSU herausgestellt: "Wenn alle Länder in Europa so gut regiert wären wie Bayern, dann hätten wir in Europa nicht die Probleme, die wir haben." Seehofer hatte schon vor dem Auftritt der Kanzlerin gesagt: "Es ist nichts von ihr zu befürchten." Er weiß genau, dass er die CSU gerade in eine Konfrontationsstellung zur CDU bringt. Diese Konfrontation könnte am heutigen Sonnabend ihr Symbol in der Wahl Peter Gauweilers zum CSU-Vize finden. Gauweiler ist die personifizierte Europaskepsis.

Als seine Kandidatur bekannt wurde, herrschte fast so etwas wie Euphorie in der Partei. Der grantelnde, altgediente CSU-Mann war plötzlich ein Hoffnungsträger - weil er das glückliche Gestern repräsentieren konnte: eine CSU vom alten Schlag, populär bis populistisch, mit einer klaren Position. Als sein wahrscheinlicher Gegner, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, die Halle in Nürnberg betritt, muss er an Peter Gauweiler vorbei. Galt dessen Wahl kurz nach der Klausur der Landtagsfraktion Mitte September als gelaufen, herrscht nun wieder Spannung vor der heutigen Abstimmung. Dass sich Gauweiler als Abweichler inszenieren wird, davor haben doch einige Angst. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber versucht ihn schon einzufangen. Sonderwege gegen die Linie der Partei "kann er als stellvertretender Parteivorsitzender nicht mehr machen".