Beim Treffen von Kanzlerin und Staatspräsident stand die Integration im Vordergrund

Berlin. Zwischen Deutschland und der Türkei herrscht offenbar Einvernehmen über die Bedeutung von Sprachkenntnissen für eine gelungene Integration. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der türkische Staatspräsident Abdullah Gül seien sich einig, dass gute deutsche Sprachkenntnisse die Voraussetzung dafür seien und "dass die deutsche Sprache möglichst gut und frühzeitig erlernt wird", teilte Regierungssprecher Steffen Seibert gestern mit. Gül hatte vor seinem Deutschlandbesuch mit Blick auf den Ehegatten-Nachzug gerügt, das deutsche Einwanderungsrecht widerspreche den Menschenrechten.

Merkel hatte Gül am Morgen im Kanzleramt empfangen. In dem Gespräch sei es "um die ganze Bandbreite der deutsch-türkischen Beziehungen" gegangen, "insbesondere auch um die notwendige und gewünschte Integration der türkischstämmigen Migranten in Deutschland", bestätigte ein anderer Regierungssprecher. Auch Visumsfragen seien zur Sprache gekommen.

Beim umstrittenen Thema des türkischen EU-Beitritts hätten beide Seiten bei dem Treffen ihren Standpunkt dargelegt, hieß es. Gül hatte am Vortag den Wunsch seines Landes nach einer Vollmitgliedschaft in der EU bekräftigt. Merkel hat der Türkei hingegen nur eine "strategische Partnerschaft" angeboten. Das lehnt die Türkei ab.

Am Nachmittag besuchte Gül gemeinsam mit Bundespräsident Christian Wulff dessen Heimatstadt Osnabrück. Zahlreiche Bürger begrüßten die Staatsoberhäupter und ihre Frauen mit Beifall und Jubel vor dem Rathaus. Dort hatte sich die Nachricht von dem Bombenanschlag in Ankara noch nicht verbreitet. Viele der Schaulustigen schwenkten deutsche und türkische Fahnen. Im Hintergrund demonstrierten einige Kurden mit Plakaten gegen Güls Besuch. Der Jubel der Menge übertönte jedoch den Protestchor.

Der Hamburger Publizist Ralph Giordano hat dem Bundespräsidenten unterdessen Blauäugigkeit im Umgang mit dem Islam vorgeworfen. "Ich vermisse bei Ihnen jede Kritik an menschenrechtsfeindlichen Auffassungen und Praktiken innerhalb der türkisch-arabisch dominierten Minderheit", schreibt Giordano in einem in der "Welt" veröffentlichten offenen Brief an Wulff. Als Beispiel nennt Giordano unter anderem den Zwang zum Kopftuchtragen, Zwangsverheiratungen und sogenannte Ehrenmorde, die seiner Meinung nach auch das Leben von Muslimen in der Bundesrepublik betreffen.

Kritisch äußert sich Giordano auch zu Wulffs Äußerungen über die Türkei, die der Bundespräsident im Vorfeld des Besuchs von Abdullah Gül gemacht hatte. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" hatte Wulff gesagt: "Die Türkei ist ein Beispiel dafür, dass Islam und Demokratie, Islam und Rechtsstaat, Islam und Pluralismus kein Widerspruch sein müssen." Dieser Satz, so Giordano, verrate eine "verstörende Unkenntnis der Wirklichkeit" und schließe sich an Wulffs "historische Fehlthese" vom 3. Oktober 2010 an. Am Tag der Deutschen Einheit hatte der Bundespräsident für Diskussionen gesorgt, als er sagte, nicht nur Christen- und Judentum gehörten zu Deutschland, sondern auch der Islam.