Bei Caritas und Diakonie gelten Sondergesetze. Unruhige Mitarbeiter und Gewerkschaften, die gegen den “Dritten Weg“ mobil machen.

Berlin. Einst sorgte ein großes Kopiersystem für Harmonie bei Caritas und Diakonie. Die Wohlfahrtsverbände der Kirchen kopierten die Tarifabschlüsse des öffentlichen Dienstes, und alle waren zufrieden. Doch damit ist es vorbei. Die Mitarbeitervertreter kommen aus den Protesten kaum heraus. In der Politik wächst der Unmut über die Wohlfahrtsverbände, die mit 507 000 Mitarbeitern bei der Caritas und 480 000 bei der Diakonie zu den größten Arbeitgebern Deutschlands zählen.

Es geht um das kirchliche Arbeitsrecht, den "Dritten Weg". Grundgesetzlich abgesichert, kennt er keine Streiks. "Dienstgeber" und "Dienstnehmer" sind in einer "Dienstgemeinschaft" verbunden, in paritätisch besetzten Kommissionen sollen sie Arbeitszeiten und Löhne einvernehmlich regeln. Bei Streit wird ein Schlichter eingesetzt, dessen Spruch verbindlich ist. Kirchengerichte können angerufen werden. Aber das war lange Zeit kaum nötig, weil man ja den öffentlichen Dienst kopierte und es somit kaum bemerkte, dass die Gewerkschaften den Dritten Weg wegen des Streikverbots nicht mitgingen.

Doch in den 90er-Jahren ließ die Sozialpolitik den Wettbewerb ins Pflege- und Gesundheitssystem einziehen. Die Diakonie reagierte: Die Geschäftsführer der rund 27 000 Einrichtungen verlegten sich auf Übernahmen des einen Trägers durch den anderen, Löhne bei weniger Qualifizierten wurden gesenkt, Leiharbeiter beschäftigt, einzelne Bereiche "ausgegründet". So gehörte etwa die Küche nicht mehr zur Dienstgemeinschaft, sondern zur gewerblichen Wirtschaft, wo zwar gestreikt werden darf, aber schlechter bezahlt wird. Der Erfolg gibt den Dienstgebern recht: Caritas und Diakonie expandieren.

Doch die Mitarbeiter können nicht mehr verstehen, warum die kirchlichen Verbände ein eigenes Arbeitsrecht haben sollen. Michael Heinrich, einer der Sprecher der Bundeskonferenz der Mitarbeitervertreter in der Diakonie, fordert die Dienstgeber auf, ihren marktwirtschaftlichen Kurs konsequent zu gehen: "Wer solcherart betriebswirtschaftlich denkt, sollte so ehrlich sein und sagen, dass die Prinzipien des Dritten Weges nicht mehr durchgehalten werden können, sodass der Dritte Weg abgeschafft und durch das Arbeitsrecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz ersetzt werden sollte", sagte Heinrich exklusiv der Zeitung "Die Welt".

Eine solche Beendigung des Sonderweges freilich wäre eine Revolution, die in der Politik kaum jemand will. Daher setzen die Parteien im Bundestag, wo das Problem angekommen ist, auf den Dialog mit den Kirchen. Im Gespräch mit der "Welt" betont Siegmund Ehrmann, religionspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dass seine Partei "der Möglichkeit des Dritten Weges ausdrücklich positiv gegenübersteht". Doch stelle sich die Frage, "ob der Dritte Weg noch gerechtfertigt ist und ob die Voraussetzungen des Dienstgemeinschaftsprinzips gelebte Realität sind". Ähnlich argumentieren die Grünen, und Stefan Ruppert von der FDP sieht einen Widerspruch, wenn die Spitzen von Diakonie und Caritas gegen Lohndumping oder Leiharbeit protestieren, aber in den eigenen Verbänden mindestens ein Auge zudrücken. "Eine Trennung zwischen den sozialpolitischen Forderungen der Dachverbände und der arbeitsrechtlichen und tarifrechtlichen Praxis der Träger von Diakonie und Caritas wäre aus Sicht der FDP problematisch", sagt Ruppert.

+++ Katholische Kirche hält am Dritten Weg fest +++

Maria Flachsbarth von der CDU ermahnt die Geistlichkeit: "Die Kirchen stellen besondere Ansprüche an sich, das schätzen wir in der Union sehr, und diese Ansprüche müssen die Kirchen auch ernst nehmen", sagt Flachsbarth, setzt aber hinzu: "Fragen zum kirchlichen und diakonischen Arbeitsrecht sind in den Kirchen selbst zu diskutieren." Einzig die Linke will den Dritten Weg abschaffen und in den Kirchen das Betriebsverfassungsgesetz mit Streikrecht einführen. Zwar dürften dem die anderen Parteien nicht folgen, doch sehen auch sie großen Gesprächsbedarf.

Das registriert die EKD. Ihr Beauftragter bei der Bundesregierung, Prälat Bernhard Felmberg, sagt: "Wir nehmen zur Kenntnis, dass auch viele den Kirchen durchaus gewogene Politiker deutliche Ausrufezeichen dort gesetzt haben, wo durch Ausgründungen oder Leiharbeit einzelne diakonische Träger das Prinzip der Dienstgemeinschaft infrage gestellt haben. Allerdings ist das Diakonische Werk der EKD entschlossen, solchen Wildwuchs zu beenden." Der Dritte Weg funktioniere "in der Mehrheit diakonischer Einrichtungen außerordentlich gut".

Aber wie lang noch? In der Diakonie ist immer wieder zu hören, dass die Dienstnehmer mit den Dienstgebern kaum noch auf jener Augenhöhe verhandeln können. Die Ungleichheit resultiert schon daraus, dass die Mitarbeitervertreter wegen des Fernbleibens der Gewerkschaft Ver.di nur wenig arbeitsrechtliche Fachkompetenz in der Hinterhand haben. Hinzu kommt, dass manche diakonische Träger den Mitarbeitervertretern nicht jenen Einblick in die Bücher zugestehen, der nötig wäre, um das erforderliche Einvernehmen über Tarifabsenkungen zu erzielen. Man beschwere sich nicht über Dumpinglöhne, sagt ein Berliner Mitarbeitervertreter - in der Tat wird bei Caritas und Diakonie noch recht gut verdient -, doch scheuten die Dienstgeber, die Umsatzzahlen auf den Tisch zu legen.

Erschwert wird die Augenhöhe auch dadurch, dass nicht alle Angestellten Mitarbeitervertreter werden können, sondern nur jene, die einer christlichen Kirche angehören. Das kommt vor allem in Ostdeutschland zum Tragen. Im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg ist geplant, diese Beschränkung aufzugeben. Damit allerdings stellt sich die Frage, was denn das spezifisch Kirchliche der Diakonie ist.

An der katholischen Caritas jedoch zeigt sich, dass auch die Beachtung kirchlicher Prinzipien Schattenseiten hat. Offene Homosexualität oder die Wiederverheiratung Geschiedener können dort Kündigungsgründe sein - was die Grünen für eine Einschränkung elementarer Arbeitnehmerrechte halten. Um die Konflikte zu entschärfen, wollen Caritas und Diakonie Ausgründungen und Leiharbeit nun strikt begrenzen. So versucht etwa der Präsident des Diakonischen Werks der EKD, Johannes Stockmeier, die Träger zur Einhaltung der kirchlichen Prinzipien zu bewegen. "Wir nehmen die Diskussion über Ausgründungen sehr ernst und dulden keine Wildwestmethoden", sagte er der "Welt". Notfalls müsse man einzelne Träger ausschließen. Doch beharrt Stockmeier darauf, dass die Gründe nicht in der Diakonie lägen, "sondern dort, wo die Kostenträger die billigsten Anbieter bevorzugen und damit einen Dumpingwettbewerb auslösen".

Das bestreitet Ver.di-Chef Frank Bsirske und will den Dritten Weg zu einem Schwerpunkt des nächsten Gewerkschaftskongresses Mitte September machen. Als "vordemokratisch" bezeichnet er den Dritten Weg, dieser sei "ein Verfassungsbruch" und mache "1,2 Millionen Beschäftigte zu Beschäftigten zweiter Klasse".