Kritiker des neuen Rettungspakets verweigern der Kanzlerin die Gefolgschaft. Für die Regierungschefin könnte es eng werden.

Berlin. 22 Tage sind nicht viel. Doch mehr Zeit wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht haben, um die Abgeordneten von Union und FDP auf ihre Seite zu ziehen. Wenn am 29. September der Bundestag über die umstrittene Ausweitung des Euro-Rettungsschirms abstimmen soll, könnte für die Kanzlerin eine bittere Niederlage ins Haus stehen. Zwar wird die Reform den Bundestag in jedem Fall passieren, da auch SPD und Grüne ihre Unterstützung angekündigt haben - allerdings ist Merkel die Zustimmung ihrer eigenen Leute nicht gewiss.

Seit Montagabend ist aus dieser bislang eher diffusen Befürchtung eine konkrete Sorge geworden: Bei den Abstimmungen über die für Donnerstag geplante Einbringung des Gesetzentwurfs zur Aufstockung des Rettungsschirms in den Bundestag verweigerten deutlich mehr Parlamentarier ein positives Votum als von den Koalitionsspitzen zuvor angenommen. In der Sitzung von CDU und CSU gab es zwölf Nein-Stimmen und sieben Enthaltungen. Bei der FDP stimmten zwei Abgeordnete mit Nein, vier enthielten sich. Die sogenannte Kanzlermehrheit - eine wichtige Messlatte für die Regierungsfähigkeit - ist damit nicht zu erreichen. Für die ohnehin durch anhaltende Querelen geschüttelte Koalition wäre genau das jedoch wichtig. Bei 620 Bundestagsabgeordneten liegt die absolute und damit die Kanzlermehrheit bei 311 Stimmen. Schwarz-Gelb kommt zusammen auf 330 Abgeordnete, könnte sich also 19 Abweichler leisten. Jetzt beläuft sich diese Zahl jedoch auf 25 - und noch nicht einmal alle Kritiker haben bei dem Testlauf mitgestimmt.

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"Es ist notwendig, dass wir am 29. September eine Kanzlermehrheit für die Ausweitung des Rettungsschirms erreichen", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, dem Abendblatt. Und mahnte: "Es ist wichtig, dass sich die Bundesregierung auf ihre Parlamentsmehrheit verlassen kann." Die Opposition geht sogar noch einen Schritt weiter. Sollte Merkel keine eigene Mehrheit haben, dann seien Neuwahlen zwingend, forderte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann.

Bei der Reform geht es um die auf dem Euro-Krisengipfel im Juli beschlossene Aufstockung des Euro-Rettungsschirms EFSF von 440 auf 780 Milliarden Euro. Der deutsche Anteil der Bürgschaften würde dann 211 Milliarden Euro betragen. Kritiker befürchten im Falle einer Pleite eines Schuldnerstaats, dass die deutschen Steuerzahler ihre Milliarden Euro nie wiedersehen - und beharren darauf, dass allein der Bundestag darüber zu entscheiden hat, wann ein Euroland Finanzhilfen aus deutschen Kassen bekommen darf.

Um diesen Sorgen entgegenzukommen, hat sich die Koalition auf ein Stufenmodell zur Parlamentsbeteiligung geeinigt. Demnach soll der Bundestag dann zustimmen müssen, wenn ein neues Land unter den Schirm schlüpfen will oder wenn ein bereits beschlossener Finanzrahmen überschritten wird. Die Kontrolle der eingesetzten Gelder und kleinere Änderungen sollen in die Zuständigkeit des Haushaltsausschusses fallen. Der Verfassungsrechtler Ulrich Karpen von der Hamburger Uni nannte diesen Weg "verfassungsrechtlich bedenklich". Der Haushaltsausschuss habe zwar eine wichtige beratende Funktion, besitze jedoch "keine eigene Beschlusskompetenz".

Laut CSU-Politiker Müller ist in diesem Fall auch noch nicht das letzte Wort gesprochen. "Das Stufenmodell zur Parlamentsbeteiligung, auf das sich die Koalition jetzt geeinigt hat, ist offen für Anregungen aus den Oppositionsparteien", betonte er. Zudem müsse es in jedem Fall auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Rettungsschirm berücksichtigen, das am heutigen Mittwoch gefällt werden soll - auch wenn man keinesfalls dahinter zurückfallen werde. Mehrere Euro-Skeptiker, darunter Professoren, Ex-Manager und der CSU-Politiker Peter Gauweiler, hatten gegen den bisherigen Euro-Rettungsschirm und die Milliarden-Finanzspritzen für Athen geklagt. Dabei geht es auch um die Haushaltsrechte des Parlaments. Ein Stoppschild aus Karlsruhe gilt als unwahrscheinlich - in Berlin sorgte das Urteil dennoch für Nervosität. Um eine zeitliche Kollision mit der Urteilsverkündung zu verhindern, verschob der Bundestag die Rede der Bundeskanzlerin in der Generaldebatte zum Haushalt nach hinten. So kann Merkel morgen direkt auf Karlsruhe reagieren.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der bereits gestern den Regierungsentwurf für den Etat des kommenden Jahres vorgestellt hatte, hat angesichts der Kritik aus den eigenen Reihen erneut eindringlich für den Euro geworben. "Wir müssen unsere Währung verteidigen - auch im eigenen Interesse", sagt er in einer dramatischen Rede vor dem Plenum - und drohte Griechenland mit einem Stopp weiterer Hilfen, sollte das Land die zugesagten Reformen nicht umsetzen. Auch Schäuble muss mit Merkel um die Stimmen der schwarz-gelben Koalition kämpfen. Eine fehlende Mehrheit würde auch ihn als zuständigen Minister belasten. Einen Denkzettel für die Kanzlerin oder Schäuble sieht CSU-Politiker Müller durch das Abstimmungsergebnis am Montag jedoch nicht. "Es war vor allem ein Ausdruck von Skepsis und inhaltlichen Bedenken, die einige Abgeordnete noch haben." Die Schlussfolgerung aber ist klar: "Das muss man sehr ernst nehmen und in den nächsten Tagen alle noch offenen Fragen klären."