Die Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern ist zum Tummelplatz der rechten Szene geworden. Von dort aus steuert die NPD ihren Wahlkampf.

Grevesmühlen. Der Mann in kurzärmeligem Hemd und heller Zunfthose schließt das mannshohe Tor auf. Sein Haar ist streichholzlang und flachsblond, sein rechter Arm bunt tätowiert. "Na, dann kommt mal rein." Offensichtlich hält er die zwei Männer draußen für Helfer. Als sich die beiden als Journalisten vorstellen, blinzelt er überrascht. "Ach so, nee, dann wohl doch nicht." Man wisse ja wohl, warum, sagt Tino Streif, Direktkandidat der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, und grinst gelassen. Über seine Partei sei schließlich noch nie ausgewogen berichtet worden. Dann verriegelt er das Tor, geht zurück zum Haus und schließt die Tür. Darüber hängt ein etwa zwei Meter breites Schild mit einer germanischen Lebensrune und gotischen Lettern. "Thinghaus" steht da, darunter ist zu lesen: "Lever dood as Slaav" (Lieber tot als ein Sklave).

Das Thinghaus, die wohl bizarrste Lokalität in Mecklenburg-Vorpommern, bleibt verschlossen. In einem Industriegebiet in der Kleinstadt Grevesmühlen, rund 100 Kilometer östlich von Hamburg, hat sich ein Treffpunkt der rechten Szene gebildet, der von außen einem Fort oder einem Straflager ähnelt. Ein zwei Meter hoher Bretterzaun mit einer Krone aus rasiermesserscharfem Nato-Draht umgibt das knapp 2000 Quadratmeter große Gelände. In der Mitte steht ein zweistöckiges, rot angestrichenes Gebäude. Die Fenster sind vergittert, über der Eingangstür hängt eine Videokamera. Den Zaun, auf dem alle paar Meter Schilder vor dem Hund warnen, überragt ein Wachturm. An der Vorderseite hängt ein Scheinwerfer und ein ausgeblichenes Plakat: "Wir sind für Sie da! NPD-Bürgerbüro". Tatsächlich haben NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs und Landeschef Stefan Köster in dem Gemäuer mitten im Industriegebiet Büros eingerichtet.

"Hier im Land haben wir ein Problem mit der NPD. Mecklenburg-Vorpommern ist sozusagen das Aufmarschgebiet der Rechtsextremisten", warnte Ministerpräsident Erwin Sellering kürzlich im Abendblatt. Am kommenden Sonntag finden in seinem Bundesland Wahlen statt. Dieses Mal muss die NPD um ihre sechs Landtagssitze bangen. Umfragen von ARD und ZDF sehen die Partei bei 4,5 Prozent, eine Befragung für die "Schweriner Volkszeitung" allerdings bei genau fünf Prozent.

Ob die Partei genügend Wähler mobilisieren kann, um tatsächlich die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden, entscheidet sich auch an Orten wie dem Thinghaus. Denn das Gebäude beherbergt nicht nur NPD-Politiker. Dort sitzt auch das vom Verfassungsschutz als neonazistisch eingestufte Internetportal "MUPInfo", das gegen vermeintliche polnische Diebesbanden oder demokratische Politiker hetzt, die dort als "fette Bonzen" beschimpft werden. Verantwortet wird MUPInfo wiederum von einem NPD-Kader. NPD-Landeschef Stefan Köster schwärmt gegenüber dem Abendblatt, das Thinghaus sei wichtig für "nationale Politik und Projekte". Abgesehen von den Bürgerbüros gebe es dort "Lesungen, Vorträge und musikalische Abende."

Der Verfassungsschutz nennt das Gebäude dagegen ein "Beispiel für die Vernetzung von NPD, Neonazis und subkultureller rechtsextremistischer Szene". Regelmäßig fänden dort rechtsextremistische Veranstaltungen wie Schulungen oder Konzerte statt. Nach anderen Berichten soll es dort auch Treffen der "Hammerskins" gegeben haben, einer gewaltbereiten Skinhead-Gruppierung. Von Skinhead-Treffen sei ihm nichts bekannt, sagt Köster. Und fügt mehrdeutig hinzu, die Haarlänge spiele für ihn keine Rolle.

Der NPD-Mann sagt auch, für das martialische Äußere des Thinghauses könne er nichts. Er sei ja nur Mieter. Interessant ist jedoch, an wen Kösters Miete fließt: an den bekannten Neonazi Sven Krüger, dessen Firma Abriss Krüger (Slogan: die Jungs fürs Grobe) das Gelände 2009 gekauft hat. Krüger ist zwölfmal vorbestraft. Er war auf Angriffe auf Ausländer und eine Jugendgruppe beteiligt. In der winzigen Bauernsiedlung Jamel, etwa zehn Kilometer entfernt, hat sich Krüger mit Gesinnungsgenossen eine Art braune Enklave geschaffen. Bis vor Kurzem saß er für die NPD im Kreistag, doch nun ist er wegen Hehlerei und Waffenbesitz zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Auch NPD-Chef Köster hat schon Bekanntschaft mit der Justiz gemacht. 2006 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der andere NPD-Mieter im Thinghaus, Spitzenkandidat Udo Pastörs, wurde 2010 wegen Volksverhetzung rechtskräftig zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt. Die NPD in Mecklenburg-Vorpommern gilt als besonders radikal. Nach Expertenansicht hat sie sich - anders als weite Teile der Bundesorganisation - noch nicht vom Nationalsozialismus distanziert und steht radikalen Kameradschaften nahe.

Die kriminellen Vergangenheit der Thinghaus-Beteiligten, die Erwähnungen im Verfassungsschutzbericht - NPD-Mann Köster will in all dem kein Problem erkennen. Es sei doch bekannt, dass national gesinnte Politiker vom Staat verfolgt und diskriminiert würden. Es ist die alte Leier: Rechte, die sich zu politisch Verfolgten stilisieren. Dagegen registrierte die Polizei nach Angaben des "Tagesspiegels" in Mecklenburg-Vorpommern in diesem Jahr bereits 38 Angriffe von Unbekannten auf Büros der anderen Parteien. NPD-Büros waren nicht darunter. Es sei auffällig, so der "Tagesspiegel", dass die Angriffsserie Ende Juli abgebrochen sei - da begann die heiße Phase des Wahlkampfs, in dem sich die NPD als bürgerlich präsentiert. Was weitergeht, sind Schmierereien auf Wahlplakaten - nur bei der NPD nicht.

Steht das Thinghaus für den Erfolg der Rechten in der Region? Tatsächlich steht die dunkle Festung im Industriegebiet eher dafür, wie zäh der Kampf gegen Rechts manchmal ist. Bürgermeister Jürgen Ditz kann ein Lied davon singen. Ditz ist ein Bär von einem Mann, sein hellblaues Hemd spannt sich in weitem Bogen um seinen Körper. Seit zehn Jahren regiert er im Rathaus. Ditz bewegt sich und redet langsam, doch als er damals das Notarschreiben in den Händen hielt, das die Gemeinde über den Grundstücksverkauf an Krüger unterrichtete, schaltete er schnell. "Wir haben rechtlich alles prüfen lassen, was möglich war." Könnte man ein Vorkaufsrecht ausüben? Oder mit baurechtlichen Auflagen dazwischen gehen? Die Juristen hätten abgewinkt.

Von seinem Bürofenster kann Ditz manchmal sehen, wie seine Bürger auf die andere Straßenseite wechseln, wenn die NPD wieder einen Infostand in der Innenstadt aufgestellt hat. Man sei hier nicht empfänglicher für braune Ideen als anderswo, versichert er. Die Stadt ist kein sozialer Brennpunkt, es gibt kaum Abwanderung, die Arbeitslosenquote ist moderat. Doch Ditz weiß um die braune Szene in der Gegend, und er kennt die Bemühungen der Rechten, in Vereinen und Elternvertretungen Fuß zu fassen. Deswegen hat er zusammen mit den Stadtvertretern aller Parteien das Aktionsbündnis "Grevesmühlen ist bunt" ins Leben gerufen. Unter dem Logo eines Farbkleckses können sich künftig alle Vereine und Gruppen sammeln, die für eine Kultur der Toleranz eintreten wollen.

Eine enge Verbündete des Bürgermeisters sitzt nur wenige Hundert Meter entfernt in der restaurierten Malzfabrik, die hoch über die Dächer der Stadt hinausragt. Seit drei Jahren ist Birgit Hesse SPD-Landrätin, eine zierliche Frau mit starkem Willen. Die 36-Jährige hat die Rechten nicht erst im Kreistag kennen gelernt, sondern schon auf der Straße. Da leitete die Juristin aus Schleswig-Holstein noch als Polizeibeamtin das Revier im nahen Wismar. "Man darf nicht wegdiskutieren, dass die NPD hier sehr präsent ist, aber wir unternehmen auch enorm viel."

Etwa eine halbe Million Euro hat Hesse in den vergangenen Jahren aus Bundesfördermitteln gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit organisiert, Dutzende Projekte wurden damit in der Region gefördert. Auch das Innenministerium schaltete man ein. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) beschreibt im Abendblatt seine Strategie: "Da die rechtsextremistische Szene schwerpunktmäßig beobachtet wird, haben wir die von ihr ausgehenden Gefahren keineswegs unterschätzt, sondern zum Beispiel im Rahmen meiner 'Initiative wehrhafte Demokratie' den politischen Handlungsspielraum der Rechtsextremisten konsequent eingeengt." CDU-Mann Caffier gilt, anders als Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), als Befürworter eines NPD-Verbots. Auch Hesse und Ditz würden die Partei gerne verboten wissen. "Mit dem Verbot wäre die Partei wenigstens von öffentlichen Geldern abgeschnitten", sagt Hesse. Ditz hat aber noch Zweifel: "Das Verbot muss durch soziale Maßnahmen flankiert werden, sonst ist der Nährboden weiterhin vorhanden, auf dem diese platten rechten Parolen wachsen."

Diesen sozialen Nährboden machen Menschen wie Simone Oldenburg und Gabriele Hünmörder den Rechten streitig. Beide Frauen engagieren sich für den Kultur- und Sozialverein in Gägelow, einem Örtchen nahe Jamel. Hünmörder leitet dort den Jugendclub der Arbeiterwohlfahrt; Oldenburg ist Leiterin einer Regionalschule und kandidiert für die Linke. Noch vor wenigen Jahren schlugen Rechte in Gägelow Klubbesucher vor der Tür zusammen. "Aber wir wussten immer: Wenn wir hier weggehen, rücken die Rechten nach", sagt Hünmörder. Also blieb man.

Noch immer werden die Wände des Jugendzentrums regelmäßig mit rechten Parolen beschmiert. Seit einem Farbanschlag im letzten Jahr sei ihnen klar geworden: "Wir müssen jetzt was machen." Die Gägelower sprachen mit Vereinen anderer Orte. Langsam entstand ein Bündnis gegen Rechts. Paradoxerweise half ihnen das Thinghaus dabei: "Mit den Berichten um das Thinghaus ist vielen klar geworden, dass die rechten Strukturen nicht vor Nordwest-Mecklenburg Halt machen, sondern schon längst da sind", betont Oldenburg. Menschen schlossen sich dem Netzwerk an, die Opfer rechter Gewalt geworden waren. Im Mai tauchten bei einer Fahrradtour durch Jamel vor der Haustür von Sven Krüger plötzlich 150 Radler auf, die mit Fremdenfeindlichkeit und Hassparolen nichts zu tun haben wollten. Sie hatten begriffen, dass man Demokratie auf viele Arten verteidigen kann. Auch wenn man sich manchmal dafür abstrampeln muss.