Abgeordnete fordern eine Verschiebung der Bundestagsabstimmung über den Rettungsschirm. CDU-Politiker im Norden stützen Kanzlerin Merkel.

Hamburg. Helmut Schmidt sitzt da wie immer. Die Miene ernst, die eine Hand berührt leicht den Gehstock, der an seinem Bein lehnt, die andere hält die Zigarette fest. Es geht auf dem Podium im Saal der Frankfurter Handelskammer um ernste Themen an diesem Tag: die Euro-Rettung, Finanzstabilität und Regulierung des Marktes. Und Helmut Schmidt macht erst einmal einen Witz. "Dass Sie im Ernst glauben, dass zwei Rollstuhlfahrer Ihnen die Welt erklären können, das ist Optimismus", sagt er. Neben ihm sitzt CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Es ist auch die Woche der Altkanzler, die eintreten für ihr politisches Erbe: ein solidarisches Europa. Helmut Kohl war mit der Politik seiner Nachfolger im Kanzleramt hart ins Gericht gegangen. Der frühere SPD-Kanzler Schmidt stimmte nun in den Kanon der Kritik ein. "Man muss sich auf die Deutschen verlassen können, da hat der Helmut Kohl vollständig recht", sagte Schmidt auf der Veranstaltung der "Zeit" in Frankfurt. Er kritisierte, die Bundesregierung habe sich Griechenland gegenüber "arrogant" verhalten. "Die sollen disziplinierter sein, länger arbeiten, hieß es." Das sei nicht christlich, nicht solidarisch.

Schmidt und Kohl - es sind die beiden prominentesten Stimmen, die in diesen Tagen den Kurs der Regierung unter der Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) attackieren. Es sind bei Weitem nicht die einzigen Stimmen. Besonders in der Union brodelt es immer heftiger. Die Partei streitet vor allem über die Rettung des Euro.

Nun bringt dieser Streit den Fahrplan zur Rettung in Gefahr. CDU/CSU-Fraktionskreise bestätigten in Berlin Überlegungen, die für den 23. September geplante Schlussabstimmung im Bundestag zu verschieben. Gründe seien der erhebliche Beratungsbedarf und die Befürchtung, es könne bis dahin nicht zu einer eigenen Mehrheit reichen, hieß es. Die Ausdehnung des Rettungsschirms soll am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet werden und dann in den Bundestag gehen. Bundestag und Bundesrat sollen eigentlich am 23. September abstimmen. Nun mehren sich aber die Stimmen, die eine Verschiebung fordern. Der Bundesrat tagt allerdings erst wieder am 14. Oktober.

Wie viel Macht soll der Bundestag bei der Entscheidung über die Rettung des Euro haben? Vor allem dies ist die Frage, über die derzeit gestritten wird. Schließlich stellt Deutschland bald 211 statt derzeit 123 Milliarden Euro Garantien für Kredite und andere Hilfen zur Verfügung. Bei grundsätzlichen Entscheidungen über Hilfen müsse der Bundestag immer befragt werden, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Bei Beschlüssen im Tagesgeschäft des Rettungsschirms reiche es, wenn der Haushaltsausschuss eingebunden wäre. Auch Haushaltspolitiker von Union und FDP schlagen ein abgestuftes Verfahren vor, um die Handlungsfähigkeit des Rettungsfonds zu ermöglichen und das Parlament angemessen zu beteiligen.

Doch führende Unionspolitiker fürchten nun gar um eine eigene Mehrheit bei der Abstimmung im Bundestag. War zuletzt noch von sieben bis acht Abweichlern die Rede, so wird die Zahl der Widerständler bei Union und FDP auf 50 geschätzt. Viele Abgeordnete fordern mehr Zeit, um die Bürger in ihren Wahlkreisen zu informieren. Die Angst geht um, die Wähler könnten sich angesichts nicht enden wollender Milliarden-Hilfe für Länder wie Griechenland anderen Parteien zuwenden.

Doch neben der Kritik am Euro-Rettungsschirm und dem Kurs der Koalition bekommt die Kanzlerin auch Rückendeckung. Merkel kämpfe seit mehreren Monaten für den Erhalt der Währungsunion, sagte die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) dem rbb-Inforadio. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler gab sogar grünes Licht für den erweiterten Euro-Rettungsschirm. Merkel könne sich sowohl auf den Koalitionspartner FDP verlassen als auch auf ihre eigene Fraktion und Partei, sagte der FDP-Parteichef in Hannover.

Auch CDU-Politiker aus dem Norden unterstützen Merkels Euro-Politik. "Helmut Kohl gehört nach wie vor zu meinen großen politischen Vorbildern. Man kann mit den Mechanismen von vor 15 oder 20 Jahren heute keine europäische Finanzpolitik mehr machen", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister, Lorenz Caffier, dem Hamburger Abendblatt. Deswegen sei der Kurs, den die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister fahren, richtig.

"Kohl verkennt, dass Europa von Deutschland heute viel mehr - nämlich riesige Haftungsrisiken - verlangt als zu seiner Regierungszeit", sagte Johann Wadephul, Europa-Experte der CDU aus Schleswig-Holstein, dem Abendblatt. Hamburgs CDU-Chef Marcus Weinberg bekräftigte das "beherzte Durchgreifen der Regierung Merkels" bei der Euro-Rettung.

Die Debatte in der Union läuft mit hoher Taktzahl. Und auch die Kanzlerin erwartet wohl keine schnelle Einigung. Sie hat wegen der Euro-Debatte eine für Anfang September geplante Russland-Reise abgesagt.