Deutsche Wirtschaft erwartet steigende Exporte. Wintershall und RWE Dea wollen bald wieder Ölförderung in Libyen aufnehmen

Hamburg. Der Kampf scheint entschieden, Libyens Diktator Gaddafi ist offensichtlich gestürzt. Doch nicht nur die Rebellen triumphieren - auch deutsche Unternehmen freuen sich bereits auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg. Denn sie werden in den kommenden Jahren gebraucht werden - das bescheinigte ihnen gestern bereits Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Der "Passauer Neuen Presse" sagte Westerwelle, der Weg zu Stabilität und Frieden in Libyen werde nach mehr als 40 Jahren Diktatur eine Herkulesaufgabe. "Jetzt geht es vor allem darum, den politischen Umbruch in Richtung Demokratie erfolgreich zu bewältigen." Und dann fügte der Minister hinzu: "Entscheidend wird auch der wirtschaftliche Aufbau werden." Deutschland habe eine besondere Kompetenz, wenn es darum gehe, ein Land dauerhaft zu stabilisieren.

Das sehen deutsche Unternehmen genauso. "Libyen hat gemessen am Ölreichtum des Landes eine relativ schlechte Infrastruktur und zugleich eine stark wachsende Bevölkerung", stellt Felix Neugart fest, Nordafrika-Experte beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag. "Es wird daher demnächst beispielsweise in Wohnungsbau, Straßen oder Wasser- und Stromversorgung investieren müssen. Das sind Bereiche, in denen Deutschland mit seinem Ingenieurs-Know-how punkten kann." Zwar seien vor Beginn des Bürgerkriegs nur wenige Exporte von Deutschland nach Libyen geflossen, doch habe Libyen dank seines Öls großes Entwicklungspotenzial. "Wenn die Sanktionen aufgehoben werden und sich die politische Situation stabilisiert, ist auf jeden Fall eine deutliche Exportsteigerung drin", glaubt Neugart.

Zwar hatte das Gaddafi-Regime den Unternehmen enge Zügel angelegt. "Regelungen haben häufig gewechselt, Ausschreibungen haben sich plötzlich verzögert", berichtet Neugart dem Abendblatt. Solche Gängelungen, so die Hoffnung vieler Unternehmer, könnten nun ein Ende haben. "Ohne Zweifel sehen die deutschen Firmen große Chancen in dem Wandel, der sich gerade in Libyen vollzieht", sagt Michael Monnerjahn vom Afrika-Verein der Deutschen Wirtschaft. Über 40 Jahre lang habe sich Gaddafi für ein System eingesetzt, das dem Sozialismus nahegekommen sei, mit einer starren Planwirtschaft, schwerfälligen Staatskonzernen und wenig Raum für private Initiativen. Dazu seien die jahrelangen Sanktionen gegen das Regime gekommen.

Bis zum Bürgerkrieg spielte Libyen eine wichtige Rolle bei Europas Energieversorgung, zehn Prozent des von Deutschland importierten Öls stammten aus der Libyschen Wüste. Auch heute richtet sich das Interesse westlicher Unternehmen in Libyen vor allem auf das schwarze Gold und auf Erdgas. Besonders die beiden deutschen Konzerne Wintershall und RWE Dea beobachten daher nun die Lage im ehemaligen Gaddafi-Reich aufmerksam. Während die BASF-Tochter Wintershall bereits seit 1958 in Libyen Erdöl sucht und fördert, hat die Hamburger RWE Dea im vergangenen Dezember mit dem damaligen Regime Förderlizenzen für acht Ölquellen abgeschlossen.

Eigentlich wollten die Hamburger bis 2014 rund 1,3 Milliarden US-Dollar investieren, doch im Februar evakuierten alle deutschen Firmen ihre Mitarbeiter aus dem Bürgerkriegsland. Seitdem ruht bei den Öl-Firmen Exploration und Produktion. "Wir gehen davon aus, dass die Abkommen auch für die neuen politischen Anführer Gültigkeit behalten", sagt eine Dea-Sprecherin dem Abendblatt. Man sei bereit, ein Erkundungsteam nach Libyen zu schicken, doch noch sei es wegen der unklaren Sicherheitslage zu früh dafür.

Auch die alternativen Energien könnten vom Wandel profitieren. Dazu gehört das Desertec-Projekt, bei dem Solarstrom in Nordafrika gewonnen und nach Europa geleitet werden soll. Paul van Son, Geschäftsführer der Desertec Industrie Initiative, sagte dem Abendblatt: "Wir sehen in den Ländern, in denen jetzt politische Veränderungen einsetzen, einen Wunsch nach besseren Lebensbedingungen beispielsweise auf der Basis von erneuerbaren Energien." Mit dem Aufbau von Wind- und Solarenergie seien Arbeitsplätze und Wissenstransfer verbunden.