Vorerst werde es keine Euro-Bonds geben, versichert Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel. Aber auch keinen Sonderparteitag

Berlin. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) brauchte nicht viele Worte, um die Parteioberen zu beruhigen. Gestern trafen sich das Präsidium und der Bundesvorstand der CDU, um über die Europapolitik zu diskutieren. Das Thema sorgt derzeit für einige Unruhe in der Koalition. Dennoch berichteten Teilnehmer beider Sitzungen anschließend von einer "einvernehmlichen Diskussion" und einer "befriedenden Wirkung" der Sitzung.

Merkel versicherte den Gremien ihrer Partei, dass die ungeliebten gemeinsamen Euro-Staatsanleihen auf absehbare Zeit kein Thema seien. Die sogenannten Euro-Bonds seien zu gefährlich, nicht kalkulierbar und der Öffentlichkeit auch nicht vermittelbar. Darüber herrschte große Einmütigkeit. Er sei der Kanzlerin sehr dankbar für die klaren Worte, mit denen sie Euro-Bonds ausgeschlossen habe, sagte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs, der dem Bundesvorstand angehört. Und auch Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und Mitglied des CDU-Präsidiums, sagte, er sei sehr zufrieden mit der "klaren Botschaft". Er begrüßte nicht nur das Signal gegen Euro-Bonds, sondern auch den Beschluss des CDU-Vorstands, eine Kommission zur Europapolitik einzusetzen. Diese soll bis zum 24. Oktober einen Leitantrag für den Parteitag im November erarbeiten. Dabei sollen die verschiedenen Positionen zu einer gemeinsamen Linie zusammengeführt werden.

Merkel wird die Debatte allerdings viel schneller wieder einholen. Bereits heute Abend ist eine Sondersitzung der Unionsfraktion geplant. Merkel dürfte ihre derzeitige Ablehnung von Euro-Bonds wiederholen. Viele Abgeordnete wollen allerdings über ganz andere Entscheidungen sprechen. "Die Debatte über Euro-Bonds ist verfehlt", sagte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Barthle. Denn über die Gemeinschaftsanleihen müssten die Abgeordneten in nächster Zeit sowieso nicht entscheiden. Barthle: "Da wird über den dritten Schritt diskutiert, jetzt steht aber zunächst der erste an." Im September muss der Bundestag über den Euro-Rettungsschirm EFSF abstimmen. Am 21. Juli hatten die Regierungschefs der Euro-Staaten beschlossen, dass seine Befugnisse ausgeweitet werden sollen. Der Garantierahmen wird erhöht, zudem darf der Hilfsfonds in Zukunft Anleihen von hoch verschuldeten Ländern kaufen. Eine Maßnahme, die nicht nur die Kanzlerin, sondern auch die Fraktionen von Union und FDP lange abgelehnt hatten.

Einige Abgeordnete haben deshalb Bauchschmerzen bei dem, was die Kanzlerin EFSF-"Ertüchtigung" nennt. "Ich bin jetzt 17 Jahre Mitglied des Bundestages. Ich kann mich an keine Entscheidung erinnern, die so schwierig war, auch mir persönlich so schwergefallen ist", sagte der CDU-Bundestagabgeordnete Wolfgang Bosbach. Er will im September nicht zustimmen. Auch vielen anderen Abgeordneten ist angesichts der immer neuen Rettungsaktionen im Namen des Euro mulmig zumute. Die meisten haben ohnehin längst den Überblick über die Risiken verloren, die Deutschland bislang schon eingegangen ist. Unionsfraktionsvizechef Johannes Singhammer hakte deshalb nach und bat das Finanzministerium um Aufklärung. Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen gibt in einem dreiseitigen Antwortschreiben eine detaillierte Aufstellung der Verpflichtungen, die Deutschland bislang eingegangen ist.

"Das Volumen, für das der deutsche Steuerzahler im Rahmen der Euro-Rettung im Höchstfall geradestehen muss, weitet sich immer mehr aus", klagt Singhammer. Nach seinen Berechnungen auf Grundlage der Ministeriumszahlen entfällt infolge der bereits abgerufenen Garantien derzeit rechnerisch auf jeden Bundesbürger eine Pro-Kopf-Haftung von 270 Euro. Infolge der schon vom Bundestag bewilligten Zusagen kann diese Summe aber auf bis zu 2125 Euro pro Kopf steigen - wenn der bisherige Europäische Rettungsfonds beziehungsweise die bilaterale Griechenlandhilfe vollständig ausgeschöpft würden. Sollte der Bundestag wie geplant am 23. September auch die auf EU-Ebene schon beschlossene nochmalige Ausweitung des Rettungsschirms absegnen, so springt die maximale Haftungssumme auf 3200 Euro pro Bürger.

Asmussens Auflistung zeigt, dass bislang nur ein kleiner Teil des bewilligten Garantierahmens ausgeschöpft wurde, um Griechenland, Irland und Portugal vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Von dem Gesamtvolumen der unterschiedlichen Europäischen Rettungsmechanismen entfallen auf Deutschland bis zu 28 Prozent.

Das Schreiben des Finanzministeriums verdeutlicht, wie komplex das Rettungsgeflecht nach den vielen EU-Gipfeln mittlerweile ist. Derzeit laufen die Transfusionen Deutschlands in die Krisenländer über den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM), die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), den deutschen Anteil an der Euro-Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie die bilaterale Griechenlandhilfe. Alle Programme zusammen haben einen Umfang von 860 Milliarden Euro, wobei der Anteil Deutschlands laut Singhammer 174,2 Milliarden Euro beträgt.

Weil diese ganzen Maßnahmen, die seit Mai vergangenen Jahres beschlossen wurden, die Staatsschuldenkrise innerhalb der Währungsunion nicht wirksam bekämpft haben, geht es nun um eine "Ertüchtigung" des Rettungsschirms EFSF. Der deutsche Anteil am Garantierahmen muss laut BMF von derzeit 123 Milliarden Euro auf rund 211 Milliarden Euro erhöht werden. Dazu ist eine Gesetzesänderung notwendig, der Bundestag und Bundesrat zustimmen müssen. Unionsfraktionsvize Singhammer ärgert die stetige Ausweitung des deutschen Haftungsrisikos. "Bevor die deutschen Steuerzahler zur Haftung herangezogen werden, müssen Länder wie Italien oder Portugal zunächst einmal ihre beträchtlichen Goldreserven einsetzen", verlangt der CSU-Mann.

Haushälter Barthle pocht angesichts der gewaltigen Summen auf ein striktes Mitspracherecht des Parlaments. Bisher muss sich die Regierung nur bemühen, mit dem Haushaltsausschuss Einvernehmen über die Hilfsmaßnahmen für klamme Euro-Staaten herzustellen. "Das ist zu wenig", sagte Barthle. Wenn es ein ausreichendes Mitspracherecht gibt, rechnet Barthle mit einer Zustimmung der Unionsfraktion. Das sieht auch Kritiker Bosbach so. Zwar will er mit Nein stimmen. Aber er ist überzeugt: "Das wird eine Minderheit sein in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die meine Meinung vertritt."