Deutsche Soldaten an Zielauswahl beteiligt. Grünen-Politiker Ströbele droht mit Verfassungsklage

Hamburg/Berlin. Seit genau fünf Monaten unterstützt die Nato die Rebellen im libyschen Bürgerkrieg gegen die Truppen des Diktators Muammar al-Gaddafi. Und während die Kampflage einer Entscheidung zuzustreben scheint und Gaddafi nach Meldung des US-Senders NBC bereits seine Flucht nach Tunesien planen soll, ist in Berlin ein erbitterter Streit über die Rolle der Bundeswehr in diesem Konflikt entbrannt.

Die deutschen Streitkräfte sind nach dem erklärten Willen der Bundesregierung nicht an dem Einsatz der Allianz beteiligt. Vor allem britische und französische Kampfflugzeuge bombardieren Einrichtungen und Stellungen des Gaddafi-Regimes, zeitweise unterstützt von den USA.

Doch nun hat sich herausgestellt, dass unter den rund 250 Soldaten, die die Nato zusätzlich für diesen Militäreinsatz angefordert hatte, auch elf Soldaten der Bundeswehr sind. Sie dienen in Gefechtsstäben der italienischen Nato-Hauptquartiere in Neapel und in Poggio Renatico. Das Brisante daran: Die Experten sind unter anderem an der Auswahl von Zielen für die Bombereinsätze beteiligt.

Für die Grünen, die Linke und Teile der SPD nimmt Deutschland damit doch direkt am Krieg in Libyen teil. "Dieser Adhoc-Einsatz der Bundeswehr zu konkreten Kriegszwecken ist verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Denn die Bundesregierung verschwieg ihn dem Bundestag", sagte der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele in Berlin. Die Bundeswehr nehme über die Zielauswahl "aktiv" am Krieg teil. Er drohte mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, falls die Bundesregierung nicht einlenke. Ströbele verwies auf das Awacs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2008 sowie auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Darin sei festgelegt, dass der Bundestag zwingend beteiligt werden müsse, wenn es sich um "eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildete Stäbe der Nato" ginge. Das sei hier der Fall.

Bundesverteidigungsminister Thomas de Mazière (CDU) widersprach: "Diese Auffassung ist rechtsirrig." Eine Verwendung deutscher Soldaten in Nato-Stäben sei gängige Praxis und nicht von einer Zustimmung des Bundestags abhängig. Denn sonst könne Deutschland seine Bündnisverpflichtungen nicht mehr wahrnehmen und könne gleich aus der Nato austreten, sagte de Mazière.

Auf der 45. Sicherheitspolitischen Informationstagung der Clausewitz-Gesellschaft in Hamburg sagte der Minister später mit Blick auf die Enthaltung Deutschlands im Uno-Sicherheitsrat zur Libyen-Resolution: "Es gibt in Zukunft in keiner Weise mehr einen deutschen Sonderweg, weder in der EU noch neben anderen Bündnispartnern." Zugleich kritisierte der Minister die innenpolitische Debatte zu Libyen. "Das Stichwort des deutschen Sonderwegs ist nicht ein einziges Mal vom Ausland genannt worden, sondern nur vom Inland." Das sei nicht in Ordnung.

Ströbele erhielt derweil Rückendeckung von der Linken. Jan van Aken, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, forderte eine Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, mit der unzweifelhaft klargestellt werden solle, dass jegliche Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen - mit der Waffe in der Hand oder in Führungsstäben - vom Parlament beschlossen werden muss. "Ohne ein Mandat des Bundestags müssen die deutschen Soldaten aus den Nato-Stäben abgezogen werden."

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, kritisierte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) scharf. "Die jetzt bekannt gewordene Beteiligung deutscher Soldaten bei der Auswahl militärischer Ziele entlarvt die großspurigen Ankündigungen von Außenminister Westerwelle, sich unter keinen Umständen am Libyen-Einsatz zu beteiligen, als Farce", sagte Erler. Westerwelles Nein sei damit als reines Wahlkampfmanöver entlarvt worden.