Delegierte des Landesparteitags in Mecklenburg-Vorpommern verweigern sich einer Schweigeminute. Wulff und Merkel gedenken in Berlin der Opfer

Rostock. Zu Beginn des Parteitags der Linken in Mecklenburg-Vorpommern ist es am Sonnabend zu einem Eklat gekommen. Als die Tagungspräsidentin anlässlich des Mauerbaus vor genau 50 Jahren die rund 100 Delegierten aufforderte, sich zu einer Schweigeminute für die Mauertoten zu erheben, blieb eine Handvoll Teilnehmer demonstrativ sitzen - darunter die frühere Landessozialministerin Marianne Linke. Das DDR-Grenzregime hatte allein in Berlin mindestens 136 Menschen das Leben gekostet. Dennoch konnte sich der Linken-Landesverband auf keine gemeinsame Bewertung des Mauerbaus vor genau 50 Jahren einigen. Stattdessen ist die Partei bemüht, den Streit auf die Zeit nach der Landtagswahl zu vertagen. Die Delegierten nahmen mit einer Gegenstimme einen Vorstandsantrag an, der eine Konferenz dazu nach der Abstimmung vom 4. September vorsieht. Damit soll der interne Streit um die Gründe für den Mauerbau aus dem Wahlkampf herausgehalten werden.

In der Mauerdebatte, die exakt am 50. Jahrestag des 13. August 1961 stattfand, sagte Landesparteichef Steffen Bockhahn: "Heute ist der Tag, aller Maueropfer zu gedenken." Der Bau der Mauer sei durch nichts zu rechtfertigen gewesen, auch nicht durch die existenzielle Krise, in der sich die DDR befunden habe. "Niemals darf der Zweck die Mittel heiligen, unter keinen Umständen." Der 32-jährige Bundestagsabgeordnete betonte zugleich, die jüngeren Linken-Politiker wollten den älteren ihr Handeln vor 50 Jahren nicht vorwerfen.

Manche in der Partei betrachten den Mauerbau dagegen als eine Folge des Zweiten Weltkriegs - ähnlich wie Bundesparteichefin Gesine Lötzsch, die deshalb heftig kritisiert wird. Ein Bewusstsein für das durch die Grenzanlagen entstandene Unrecht fehlt bei einigen der Parteimitglieder offenbar. Der Mauerbau sei "für die Führungen der Sowjetunion und der DDR ohne vernünftige Alternative" gewesen, sagte der Linkenpolitiker Arnold Schoenenburg. Die schrecklichste Variante wäre ein neuer Krieg gewesen, auf den sich "die Falken in der Bundesrepublik" schon eingestellt gehabt hätten.

Des Jahrestages des Mauerbaus wurde am Sonnabend landesweit gedacht. Um 12 Uhr verharrten in der Hauptstadt viele Menschen im schweigenden Gedenken. Kirchenglocken läuteten, Busse und Bahnen stoppten kurz. An der Mauer-Gedenkstätte legten Bundespräsident Christian Wulff, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Kränze nieder und gedachten still der Opfer. In seiner Ansprache rief Wulff dazu auf, weltweit für Demokratie und Menschenrechte einzutreten. "Die Erinnerung an das Unrecht der Mauer mahnt uns, diejenigen nicht alleinzulassen, die für Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte kämpfen", sagte Wulff beim zentralen Gedenken auf dem früheren Todesstreifen an der Bernauer Straße. Er erinnerte auch an den Fall der Mauer. "Einmal mehr hat sich gezeigt: Am Ende ist die Freiheit unbesiegbar." Die DDR-Bürger hätten sich die Freiheit selbst erkämpft. Auch jetzt seien Veränderungen notwendig. Dazu gehöre, Zuwanderer besser zu integrieren.

Wowereit betonte, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen. Der 13. August 1961 sei der traurigste Tag in der jüngeren Geschichte Berlins gewesen. "Mich spornt diese bittere Erfahrung an, nicht nachzulassen im Kampf gegen totalitäres Denken und Handeln." Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier berichtete von ihrem Fluchtversuch als 18-Jährige, der verraten wurde. Sie kam ins Gefängnis. "Was für ein unbarmherziges System war das, von dem so viele heute noch schwärmen." An der Gedenkfeier nahm für die Linke Parteichef Klaus Ernst teil, jedoch nicht Linken-Chefin Gesine Lötzsch.

Kanzlerin Merkel sprach nicht auf der Gedenkveranstaltung. Der Nachrichtenagentur dpa sagte sie: "Wir dürfen den 13. August 1961 und das Leid, das er über Millionen von Menschen gebracht hat, nie vergessen. Das Unrecht des Mauerbaus mahnt uns bis heute, bei uns zu Hause und weltweit für Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte einzutreten."