Es begann wie bei Heide Simonis, endete aber glimpflich. Jetzt ist Annegret Kramp-Karrenbauer saarländische Regierungschefin

Saarbrücken. Der Lafo war's! In der CDU geht nach der aufreibenden Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer das Gerücht, Oskar Lafontaine habe die SPD überredet, einen eigenen Kandidaten zur Wahl des neuen saarländischen Ministerpräsidenten aufzustellen. Danach sei SPD-Fraktionschef Heiko Maas überhaupt erst auf die Idee gekommen. Tatsächlich war Maas' Entscheidung erst 20 Minuten vor der Wahl in der SPD-Sitzung gefallen. Aber, so versichert er, nicht Lafontaine, sondern er selbst habe in der Opposition für die Aufstellung eines Gegenkandidaten geworben. Wie dem auch sei, der schlichte und allzu nahe liegende Versuch der Koalition aus CDU, FDP und Grünen, die Schuld für das Debakel ihrer Kandidatin Lafontaine zuzuschieben, wirkt reichlich hilflos. SPD und Linke hätten zahlenmäßig die neue Ministerpräsidentin nicht verhindern können. Das konnte nur die Jamaikakoalition selbst. Sie verfügt zusammen über 27 Stimmen, eine mehr, als für die Wahl gebraucht wird.

Die Wahl wäre eine Randbemerkung der Geschichte geblieben, hätte es in den Reihen der Koalition nicht zwei Abweichler gegeben. Sie waren wohl die Einzigen, die der Verlauf des gestrigen Vormittags nicht überrascht hat.

Bereits zur Eröffnung der Sitzung im Saarbrücker Landtag liegt gut sichtbar ein Strauß für die künftige Ministerpräsidentin bereit. Auf dem Tisch vor dem leeren Platz einer Grünen-Abgeordneten, die als Schriftführerin im Präsidium Platz genommen hat, warten die Sonnenblumen allerdings zwei Stunden darauf, übergeben zu werden. Als der Parlamentspräsident dem scheidenden Ministerpräsidenten Peter Müller dankt, die Tagesordnung verliest und schließlich die Wahl eröffnet, herrscht noch Gleich-gibt's-Häppchen-Atmosphäre. Die Abgeordneten und Zuschauer, unter ihnen die zwei Söhne - die Tochter befindet sich im Ausland - und der Ehemann von Annegret Kramp-Karrenbauer, unterhalten sich ungezwungen. Dann beginnen die beiden Schriftführerinnen, die Wahlzettel zu sortieren; vor aller Augen, gleich neben dem erhöhten Pult des Präsidenten. Jeder im Saal zählt mit. Und mit jedem Zettel auf der Habenseite von Heiko Maas wird klarer, dass hier etwas anders gelaufen ist als geplant. Die Damen tauschen die Stapel mit den hellblauen Papieren. Nachzählen. Die Gesichter im Saal versteinern. 25 Stimmen für die bisherige Sozialministerin Kramp-Karrenbauer, 25 für Heiko Maas (und damit eine aus der Koalition), eine Enthaltung. 26 hätte die CDU-Politikerin gebraucht. Die Sitzung wird für eine nervöse Stunde unterbrochen.

Nach außen gab die Jamaikakoalition bisher das Bild eines bunten, aber weitgehend einigen Haufens ab. In allen Entscheidungen der bisherigen Legislaturperiode stand die Mehrheit. Doch es ist längst nicht alles eitel Sonnenschein. Die Grünen haben wenig zu beklagen, viele Pläne - von der Abschaffung der Studiengebühren bis zur Energiepolitik - konnten sie durchbringen. Anders die FDP, die Personalsorgen plagt. Die Liberalen gelten unter den Partnern als der schwierigste, wankelmütigste. Die CDU ihrerseits muss sich bescheiden. Das Land ist arm, 80 Millionen Euro müssen ab 2012 jedes Jahr eingespart werden; die Schuldenbremse will es so.

Denkbar auch, dass Kramp-Karrenbauer einige in der CDU verstimmt hat, weil sie bisher nichts zu ihrem künftigen Kabinett äußerte. Umbilden muss sie es, allein weil ihr Sozial- und Familienressort frei wird. Mancher wird wissen, dass er unter der Neuen nichts mehr werden kann. Kramp-Karrenbauer tickt politisch eher noch etwas weiter links als Vorgänger Peter Müller. Wer also alle Hoffnung auf einen Posten begraben hat, hat ein Motiv, das Projekt Jamaika an die Wand fahren zu lassen.

Es war Annegret Kramp-Karrenbauer selbst, die laut Teilnehmern vor den Fraktionen von CDU, Grünen und FDP in der Pause erklärte, keinen dritten Durchgang anzustreben. Eine klare Botschaft der 49-Jährigen. Peter Müller gab in der Runde noch einmal den Landesvater. Er sprach von der Zukunft des Saarlandes. Man könne das Land in einer solchen Situation nicht Rot-Rot überantworten. Davon ließ sich einer überzeugen - einer aber auch nicht.

Während des zweiten Wahlgangs spricht niemand ein Wort. Die Namen der Abgeordneten werden verlesen, als handele es sich um die Opfer einer Katastrophe. Dann folgt erneut die quälende Zählprozedur. Kramp-Karrenbauer, die auf ihrem Ministersessel sitzt, blickt nicht einmal hoch. Endlich das Ergebnis. 26 Stimmen für sie, 25 für Maas. Erleichterter Applaus. Maas gratuliert, danach Lafontaine.

"Der Start war holprig", sagt Kramp-Karrenbauer nach dem Amtseid. "Aber als Mutter von drei Kindern weiß ich, die schwersten Geburten bringen die schönsten Kinder hervor." Eine geheime Wahl sei eben eine geheime Wahl. "Ich bin gegen Kadavergehorsam", ergänzt sie. Eigentlich wollte sie sich als Managerin des demografischen Wandels, als tapfere Spar-Ministerpräsidentin darstellen. Doch dafür interessiert sich an diesem Tag niemand. Dafür ist es zu dramatisch, dass diese Koalition jetzt, da es um ihren Fortbestand geht, nicht ordentlich funktioniert. "Es gab keine erkennbaren Anzeichen", sagt die neue Ministerpräsidentin ratlos, "ich hätte mich gefreut, wenn mir das erspart geblieben wäre." Drei Ministerpräsidentinnen gibt es in Deutschland nun. Eine Frau, die auf Anhieb den Durchmarsch schafft, muss noch gefunden werden.