Innenminister ruft nach “offenem Visier“ im Internet . Doch viele wollen unerkannt bleiben

Hamburg. Fjordman ist enttarnt, er schreibt nicht mehr anonym im Internet. Fjordman heißt Peder Are Nøstvold Jensen. Der Attentäter von Norwegen, Anders Breivik, hat Jensen an mehr als 100 Stellen in seinem "Manifest" zitiert. Mit Jensens islamfeindlichen Parolen begründete Breivik den Mord an 77 Menschen. Breivik nennt Peder Jensen den "talentiertesten rechten Schriftsteller in Europa".

Fjordman steht nun auch für eine Debatte in Deutschland, die Innenminister Hans-Peter Friedrich entfacht hat. In einer demokratischen Auseinandersetzung streite man mit offenem Visier, argumentiert der CSU-Politiker im "Spiegel". Er meint die analoge Welt des Rechtsstaats. "Warum sollte das im Internet anders sein?", fragt Friedrich. Warum müssten Blogger wie Fjordman sich nicht offenbaren?

Wer diese Fragen aus dem Mund eines Ministers hört, kann schnell ein gesetzliches Vorgehen gegen die Anonymität im Netz vermuten. Doch so habe Friedrich das nicht gemeint. Zwar beklage er die verdeckte Radikalisierung von Menschen im Internet. Er plädiere aber lediglich für mehr demokratische Streitkultur im Netz, sagte Friedrich gestern. Regeln sollten für mehr "Wahrheit und Klarheit" im Netz sorgen. Auch laut Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) ist die Bekämpfung von Netzkriminalität aufgrund der Techniken zur Anonymisierung schwierig. Die Polizei habe es mit Tätern zu tun, die auf "neue Sicherungsmechanismen äußerst kreativ und flexibel reagieren", sagte Caffier dem Abendblatt. Deshalb sei es wichtig, dass die Polizei "personell und materiell gut aufgestellt ist".

Ein Ausweis für das Internet? Was Friedrich erwartet hatte, trat ein: Die Netzgemeinde kritisierte den Ruf des Innenministers nach einem "offenen Visier" für Blogger scharf. Skeptisch äußerte sich auch SPD-Chef Sigmar Gabriel. Die Debatte über Kinderpornografie im Netz habe gezeigt, dass die Identifizierung von Nutzern technisch kaum machbar sei.

Gänzlich anonym geht es im Internet ohnehin nicht mehr zu, seit sich immer mehr Menschen bei sozialen Netzwerken wie StudiVZ und Facebook einloggen. Datenschützer warnen vor dem "gläsernen Internetnutzer". Googles Online-Netzwerk "google+" schreibt den Klarnamen sogar vor. "My name is me" - ich bin ich -, so heißt die Webseite, die Politikern wie Friedrich erklären will, warum ein anonymes Netz wichtig ist. Missbrauchsopfer, Behinderte, politisch Verfolgte und Schwule schreiben dort über ihre Erfahrungen. Unter ihrem Klarnamen hätten sie ihre Geschichten wohl nie ins Netz gestellt.

Diese Geschichten, aber auch die politische Geschichte der vergangenen Monate wäre wohl anders verlaufen, gäbe es im Internet nicht den Schutz des Anonymen. Hobby-Ermittler auf Websites wie "VroniPlag" kamen Plagiaten in Doktorarbeiten von Politikern auf die Schliche und brachten Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zu Fall. Ägypten erlebte den Sturz des Mubarak-Regimes - der Protest der "Facebook-Revolution" wäre ohne die anonyme Nutzung von Internetdiensten kaum vorstellbar.