Bis 2050 muss sich die Zahl der Fachkräfte verdoppeln - in Hamburg klafft die Lücke schon heute. Die Kosten werden steigen

Berlin. Und dann ist da auch noch die Kommission der Europäischen Union, die Bernd Meurer das Leben schwer macht. "Völliger Irrsinn" seien jene Überlegungen in Brüssel, nach denen jemand für eine Ausbildung zum Altenpfleger künftig zwölf statt wie bisher zehn Jahre zur Schule gegangen sein muss. "Die EU-Regelungswut würde die Pflege in ein Fiasko stürzen", sagt Meurer. Und er weiß, wovon er spricht. Er ist der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, an den rund 3100 Pflegedienste und mehr als 3400 stationäre Pflegeeinrichtungen angeschlossen sind. Sollte die Neuregelung durch die EU kommen, würden mehr als 90 Prozent der heutigen Bewerber abgewiesen - eben weil eine so große Zahl unter ihnen nur einen Real- oder Hauptschulabschluss hat.

Die Furcht vor der Entscheidung aus Brüssel ist nur einer der Gründe, warum Meurer vor einem Pflegenotstand in Deutschland warnt. Der viel gewichtigere Grund sind die Zahlen: 970 000 Altenpfleger in Voll- und Teilzeit gibt es derzeit, die gut die Hälfte der rund 2,5 Millionen Pflegebedürftigen versorgen. Bis 2030 wird sich ihre Zahl jedoch auf rund 3,3 Millionen erhöhen, bis 2050 sogar auf vier Millionen. Mehr als zwei Millionen Fachkräfte werden dann gebraucht. Schon bis 2020 werden rund 200 000 zusätzliche Altenpfleger benötigt. "Fakt ist aber, dass wir schon heute einen schmerzhaften Fachkräftemangel haben", warnt Meurer. "Rund 30 000 Pflegekräfte fehlen."

Dabei trifft es auch den Norden: Neben den Ballungsgebieten in Süddeutschland wie Stuttgart oder München sei vor allem Hamburg schon jetzt von einem spürbaren Fachkräftemangel betroffen, so Meurer. In manchen Einrichtungen seien ganze Abteilungen stillgelegt, andere Häuser hätten bereits einen Aufnahmestopp verhängt, ambulante Dienste müssten Aufträge zurückweisen - und das, obwohl die Nachfrage nach wie vor immens ist. In manchen Fällen werde mit "Kopfprämien" von bis zu 3000 Euro versucht, Pflegepersonal abzuwerben. "Hier hat die Politik viel zu wenig getan", bilanziert Meurer. Seine Beschwerde geht vor allem an die Adresse des neuen Gesundheitsministers Daniel Bahr (FDP). Denn neben einer Zuwanderung ausländischer Fachkräfte setzt Meurers Verband vor allem auf Aus- und Umschulung. Hierauf gehe aber Bahrs geplante Pflegereform nur zum Teil ein. In jedem Fall dürfe das neue Gesetz "nicht noch mal aufgeschoben werden", fordert Meurer.

Darauf pochen auch 22 vorwiegend jüngere Unionsabgeordnete. In einem Manifest, über das die "Süddeutsche Zeitung" berichtete, fordern sie die Einführung eines von den Versicherten finanzierten Kapitalstocks, aus dem künftig die Pflegekosten mitbezahlt werden sollen. Angesichts der Tatsache, dass die Menschen immer älter würden, werde die Pflege ohne eine solche Rücklage schon bald nicht mehr finanzierbar sein. "Pflege wird teurer", heißt es in dem Papier. "Diesen Herausforderungen muss sich die christlich-liberale Koalition ehrlich stellen."

Einer der Initiatoren ist der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU). Es gebe Kräfte in der Koalition, "die die dringend notwendige Umgestaltung der Pflegeversicherung auf die lange Bank schieben" wollten, sagt er. Spahn bezieht sich damit auf Überlegungen der Koalitionsführung, die - wohl mit einem steigenden Beitragssatz verbundene - Pflegereform auf die Zeit nach der Bundestagswahl 2013 zu verschieben.

Gesundheitsminister Daniel Bahr lehnt dies jedoch ab. Sein Vorgänger, der heutige Wirtschaftsminister Philipp Rösler, hat die Reform auf den Weg gebracht und das Jahr 2011 zum "Jahr der Pflege" ausgerufen. Eine Sprecherin sagte, Bahr wolle vor dem Ende der Sommerpause die Eckpunkte vorlegen. Es sei weiterhin das Ziel des Ministers, dass die Pflegereform im Frühjahr in Kraft tritt.