Vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern hadert die Partei wieder mit sich selbst - und mit dem Bundesvorsitzenden Klaus Ernst

Berlin. Eigentlich gehört die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern nicht zu jenen Wahlen, die ein übergroßes bundesweites Interesse hervorrufen. Weder geht es um einen Entscheid über die schwarz-gelbe Regierungspolitik, wie Ende März im Südwesten, noch darum, ob die Grünen einen zweiten Landeschef stellen werden, wie möglicherweise nach dem 18. September in Berlin. Selbst die Wahlkampfthemen sind mit Arbeit, Energie und Bildung echte Klassiker.

Dass das Flächenland im Nordosten nun aber doch die Aufmerksamkeit auch aus dem Rest der Republik auf sich gezogen hat, lag zunächst an Lorenz Caffier. Der Spitzenkandidat der CDU hatte mit seinem Wahlslogan "C wie Zukunft" vergangene Woche Hohn und Spott hervorgerufen. Jetzt sorgt die Linke in Mecklenburg-Vorpommern für Kopfschütteln: Kurz vor der Wahl am 4. September bricht sie eine neue Debatte über Sinn und Unsinn der Berliner Mauer los. Zwei Positionspapiere konkurrieren darum, wie denn der Mauerbau zu bewerten sei. Das liegt vor allem daran, dass am 13. August der nächste Landesparteitag der Linken ansteht - also genau am 50. Jahrestag des besagten Ereignisses.

Die "Antikapitalisten" unter den Nordost-Linken meinen nun in zehn Thesen, der Mauerbau sei "ohne vernünftige Alternative" gewesen und "eine zwingende Konsequenz aus der wirtschaftlichen und politischen Krise, die die akute Gefahr eines kriegerischen Konflikts in sich barg". Der 71-jährige Arnold Schoenenburg, einer der Autoren des Papiers, sagte, ohne Mauer habe der Sozialismus nicht erfolgreich aufgebaut werden können. Zu einem anderen Schluss kommt das Positionspapier von Landeschef Steffen Bockhahn. Das System der DDR habe sich "historisch als Sackgasse" herausgestellt, ist darin zu lesen. "Die gewählten Mittel von umfassender Verstaatlichung der Wirtschaft, von undemokratischer Einparteienherrschaft und ideologischer Bevormundung sowie Einmauerung" hätten sich als untauglich erwiesen. Zudem sei die Mauer ein ungeeignetes Mittel gewesen, den Exodus qualifizierter Bürger aus der DDR aufzuhalten, damals das größte Problem des DDR-Regimes, argumentiert der Vorstand.

Landeschef Bockhahn hat keine Angst davor, dass die Debatte den Wahlkampf überlagern könnte: "Wenn die Linke am 13. August einen Parteitag veranstaltet, muss sie sich zum Mauerbau positionieren", sagte er dem Abendblatt. Das Papier des Landesvorstandes sollte hierzu eine Diskussionsvorlage sein. "Wie sich jetzt anhand des Thesenpapiers von Arnold Schoenenburg und anderen zeigt, gibt es über einige Punkte jedoch verschiedene Ansichten." Deshalb werde man nach der Landtagswahl eine größere Konferenz zum Thema Mauerbau machen, "auf der wir uns zusammensetzen und diskutieren". Geht es nach Bockhahn, lässt sich die ganze Angelegenheit auch positiv auslegen: "Immerhin sind wir die einzige Partei im Land, die sich intensiv mit dem Thema befasst."

Kritiker würden das anders sehen. Denn im Bund kommt die Linke nach Kommunismus- und Antisemitismus-Debatte nicht zur Ruhe. Das Bild nach außen wird vor allem durch interne Querelen und Machtkämpfe bestimmt. Wie der "Spiegel" berichtete, soll ein anhaltender Mitgliederschwund nun auch zu Finanzproblemen führen. Zum Mauerbau positionierte sich Parteichefin Gesine Lötzsch im ZDF-Sommerinterview allerdings klar: "Der Mauerbau war etwas, was zum Untergang dieses Systems mit beigetragen hat. Wer sich für Sozialismus einsetzt, der muss sich gegen Mauern aussprechen."

In Schwerin kämpft die Linke als drittstärkste Kraft hinter SPD und CDU darum, wieder in die Regierung zu kommen. Ministerpräsident Erwin Sellering liegt mit seiner SPD in den Umfragen vorn und hätte wenig Probleme mit einem rot-roten Bündnis - auch wenn der derzeitige Koalitionspartner CDU heißt. "Entscheidend wird sein, mit wem wir mehr sozialdemokratische Politik durchsetzen können", lautet sein Credo. Von 1998 bis 2006 hat die Vorgängerpartei PDS bereits mit der SPD regiert - ein Großteil der Linken-Basis stünde für eine Neuauflage bereit. Auch wenn das bedeuten würde, zugunsten pragmatischer Kompromisse auch mal von der reinen Lehre abzuweichen.

FDP und Grüne ziehen die Regierungsfähigkeit der Linken nach der Mauer-Debatte aber erheblich in Zweifel. "Manche Linke schwärmen noch immer von der SED-Diktatur und dem damit verbundenen Unrecht", sagte Michael Roolf, der Fraktionschef der FDP, die um einen Wiedereinzug in den Schweriner Landtag bangen muss. Grünen-Spitzenkandidatin Silke Gajek forderte die Linke dazu auf, sich klar vom Mauerbau zu distanzieren: "Alles andere wäre eine Provokation gegenüber all jenen Bürgern, die durch das Unrecht in der DDR betroffen waren."

Dabei ist die Mauer-Debatte nicht das einzige Problem, mit dem die Partei für Wirbel sorgt. Wie jetzt bekannt wurde, ist der Chef der Bundes-Linken, Klaus Ernst, nicht mehr als Wahlkampfhelfer in Mecklenburg-Vorpommern erwünscht. Nach verbalen Entgleisungen Ernsts in einem Streit der Bundestagsfraktion um die Nahostpolitik habe Landeschef Bockhahn entschieden, nicht mehr mit Ernst aufzutreten, wie aus einem E-Mail-Verkehr zwischen beiden hervorgeht. Als Zugpferde hat der Landesverband ohnehin andere eingeplant: Fraktionschef Gregor Gysi und den ehemaligen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine.