Im Verkehrsressort muss sich Peter Ramsauer verstärkt um den Norden kümmern. Bei mehreren Großprojekten droht erbitterter Streit.

Berlin. Peter Ramsauer spürt die kritischen Blicke, wenn er im Norden unterwegs ist. Ein Politiker aus Oberbayern an der Waterkant - kann so einer überhaupt mitreden, wenn es um die Anliegen der Küstenländer geht? Der Verkehrsminister weiß inzwischen um die Zweifel seiner Beobachter.

Es ist Donnerstag, der CSU-Politiker besucht die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen. Ramsauer steht in der Leitstelle, um ihn herum geschäftige Menschen an Funkgeräten, aber der Minister lässt sich nicht ablenken. Er hat eine Botschaft für die Mikrofone: Es solle auf keinen Fall der Verdacht aufkommen, er als Mann aus dem Süden interessiere sich nicht für den maritimen Bereich. Vielmehr habe er sich schon zum Beginn seiner Amtszeit vorgenommen, die maritime Politik zum Schwerpunkt zu machen. Er spricht diese Sätze im feinsten Oberbayerisch. Und das Wort "maritim" klingt dank Ramsauers rollenden "r" mehr nach Chiemsee als nach Nordsee. Aber der CSU-Politiker aus Traunstein meint es ernst. Erst vor Kurzem ließ er verkünden, dass die Koordinierung aller maritimen Belange in der Bundesregierung ab sofort in seinem Haus angesiedelt ist. Für Ramsauer, der auf seiner Nordreise neben der DGzRS auch das Havariekommando in Cuxhaven und die Meyer-Werft in Papenburg besucht hat, wird der Norden immer wichtiger - ob er will oder nicht. Gleich mehrere Großprojekte fallen hier in seinen Zuständigkeitsbereich. Die Liste der Baustellen, mit denen er sich im Norden beschäftigen muss, wird länger. So wird der Oberbayer langsam zum maritimen Minister.

Die Planungen zur Elbvertiefung spielen dabei eine zentrale Rolle. Auch bei seiner Reise durch Niedersachsen wird Ramsauer nicht müde zu betonen, dass das Baurecht noch in diesem Jahr vorliegen soll, damit die Ausbauarbeiten für die Unter- und Außenelbe allerspätestens im kommenden Jahr beginnen können. "Wir stehen hier im Wort", erklärt der Minister. Er meint damit die Hamburger Erwartungen an den raschen Ausbau, um den Hafen in seiner Rolle als weltweit bedeutender Containerumschlagplatz zu stärken. Doch in Niedersachsen wird um die Sicherheit der Deiche gefürchtet - und Ramsauer will eine Elbvertiefung nur im Konsens mit Hamburgs Nachbarn. Bisher versucht er mit guten Worten, die Niedersachsen zu überzeugen: "Die Erfordernis der Elbvertiefung ist bekannt", sagt er zurückhaltend. Noch hat sich der Bund das Einvernehmen aller anliegenden Bundesländer nicht eingeholt, und auch die EU-Kommission hat bisher nicht grünes Licht gegeben. Ramsauer muss möglicherweise noch eine Menge Überzeugungsarbeit leisten.

Mit guten Worten allein lässt sich die Werftbranche aber längst nicht mehr abspeisen. Allen voran die Meyer-Werft in Papenburg will Klartext vom Minister, was die Zukunft der Ems angeht. Der Hersteller gigantischer Kreuzfahrtschiffe will sich den Marktanforderungen anpassen und noch größere Schiffe bauen. Doch ohne weitere Schlickausbaggerungen droht der Werft der Exitus bei Großaufträgen. Ramsauer hat sich festgelegt: Die Schiffe müssen "sicher überführt werden können", sagt er beim Werftbesuch. Man solle besser mal "eine größere Summe in die Hand nehmen, als immer wieder neue Gelder für die Baggerungen auszugeben". Mit anderen Worten: Die Ems soll zu den Gewinnern der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) gehören, bei der zukünftig nur noch in wichtige Schifffahrtsrouten investiert wird.

Obendrein besteht die WSV derzeit aus sieben Direktionen, 39 Ämtern und sieben Wasserstraßen-Neubauämtern. Weil dies so sei, habe er den "Haushaltsausschuss und den Rechnungshof im Nacken", begründet Ramsauer die Reform. Sie soll zum Prestigeprojekt seines Hauses avancieren und als Beitrag zum Bürokratieabbau gelten. Im Herbst stehen die Entscheidungen an, welche Wasserstraßen gefördert und welche sich selbst überlassen werden. Für Elbe und Ems sieht es gut aus.

Ob in Bremen, Cuxhaven oder Papenburg: Auch die Frage nach einer Nationalen Küstenwache verfolgt Ramsauer beharrlich. Schuld ist ausgerechnet seine eigene Koalition. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag ist die Schaffung einer solchen gemeinsamen Einheit fixiert. Nur hält der Verkehrsminister nichts mehr von der Idee. "Wir sind insgesamt hervorragend aufgestellt", meint der Minister. Wenn man an der jetzigen Aufstellung der Küstenwache etwas verändere, dann würde man einen optimalen Zustand verschlechtern, ist er überzeugt. Selbst die europäischen Nachbarn würden neidisch aufs deutsche System blicken. Doch der Minister muss sein Kabinett noch von seiner Sicht der Ding überzeugen. Und der entsprechende Prüfauftrag für eine mögliche Fusion der Zuständigkeiten liegt nicht im Verkehrs-, sondern im Innenministerium.

Was sich bislang Küstenwache nennt, ist nicht mehr als ein Flickenteppich mehrerer Behörden. Als Ramsauer in Cuxhaven durch den Großraum des "Maritimen Sicherheitszentrums" geführt wird, stellen sich gleich ein halbes Dutzend Behören bei ihm vor, die als Netzwerk die Küstenwache organisieren. Neben dem Verkehrsministerium kümmern sich gleich vier weitere um die Sicherheit auf See. Eine Restunsicherheit werden die Küstenschützer noch mit sich tragen müssen, da der entscheidende Prüfbericht erst für Anfang 2012 erwartet wird.

In die Rolle des Vermittlers muss Ramsauer womöglich schlüpfen, wenn in Nord- und Ostsee im großen Stil die Offshore-Windparks errichtet werden. Momentan sehen Gesellschaften wie die DGzRS die Sicherheit beim Bau der Anlagen nicht voll gewährleistet. Sie fürchten, demnächst im Wochentakt zu den Anlagen gerufen zu werden, um Verletzte zu bergen. Der Minister räumt inzwischen ein, dass sich durch die Offshore-Anlagen "neue Herausforderungen für das Rettungswesen" ergeben. Die Seenotretter fordern, dass die Windkraftbetreiber selbstständig Notfallpläne entwickeln. Auch soll es nach den Vorstellungen der DGzRS eine Notfall-Leitstelle für Offshore-Windparks geben. Sollten sich die Windkraftbetreiber nicht auf ein Sicherheitskonzept einigen, werde man die Politik einschalten, heißt es bei den Seenotrettern. Ein Besuch in Schleswig-Holstein ohne das Thema Fehmarnbelt ist inzwischen undenkbar für den Minister. Zuletzt bekam Ramsauer bei seinem Besuch in Ostholstein Ende Juni den Protest der Gegner des Belt-Tunnels zu spüren. Vorerst soll ein neu geschaffenes, unabhängiges Dialogforum die Gemüter besänftigen und die Debatte versachlichen. Sollten die Fronten verhärtet bleiben, droht ihm ein norddeutsches Stuttgart 21. Dann könnte selbst das Streitthema Elbvertiefung schnell zur Randnotiz verkommen.