Die Genehmigung einer dritten Startbahn am Flughafen München provoziert Proteste bei Anwohnern. CSU-Chef Seehofer hat ein Problem.

München. Heute wird vor der CSU-Landesleitung in München demonstriert. Das gab es schon lange nicht mehr. Zuletzt waren es die Milchbauern, die hier ihrem Ärger über die Partei Luft machten. Jetzt sind es der Bund Naturschutz und Bürger aus dem Erdinger Moos. Dort, mehr als 30 Kilometer nördlich von München, liegt der Flughafen Franz Josef Strauß. Nach Frankfurt das große Drehkreuz für den Luftverkehr in Deutschland. Der Flughafen soll um eine dritte Start- und Landebahn erweitert werden. Die Bezirksregierung von Oberbayern genehmigte am Dienstag erwartungsgemäß den Ausbau. Genauso erwartungsgemäß schöpfte der örtliche Widerstand neue Kraft. "Ein heißer Herbst steht bevor", sagte ein Sprecher der Bürgerinitiative AufgeMUCkt, unter deren Dach sich der Protest versammelt. Verbände und Bürger kündigten Klagen gegen die Genehmigung an.

Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer hat jetzt ein Problem, das er auf keinen Fall auf Stuttgart-21-Dimensionen anwachsen lassen will. Das Schicksal des abgewählten Unionskollegen Stefan Mappus ist ein Menetekel für den Bayern. Seehofer will kein "Startbahn 21"-Debakel erleben. In München bemüht er sich, außergewöhnlich friedfertig und gesprächsbereit zu sein: Wesentlich sei, dass der begonnene Dialog mit dem Flughafenumland intensiv fortgesetzt werde. "Ich werde deshalb in den nächsten Tagen und Wochen auch persönlich Gespräche mit dem Nachbarschaftsbeirat und den Vertretern der Bürgerinitiative von AufgeMUCkt in der Staatskanzlei führen", sagte er.

Seehofer überschlägt sich geradezu mit der Aussendung versöhnlicher Signale: "In Form und Stil anständig, respektvoll, ernsthaft, aber klar in der Sache" will er sein. Seine Partei rief er auf, demütig zu sein: "Wir üben keine Herrschaft aus, sondern sind Dienstleister für die Bürger." Es geht aber nicht um die Frage, ob der Flughafen ausgebaut werden soll, sondern nur darum, wie die Erweiterung sozialverträglich gestaltet werden kann. Förmliche Moderationsverfahren lehnt die Staatsregierung ab. Seehofer und sein Stellvertreter, Wirtschaftsminister Martin Zeil von der FDP, sind sich hier einig: Der wirtschaftliche Nutzen zählt. "Der Flughafen-Ausbau ist für den Forschungs- und Produktionsstandort Bayern von elementarer Bedeutung." Es geht um Bayerns Ruf als unternehmensfreundliches Land und um den föderalen Wettbewerb mit Thüringen, Niedersachsen, Hessen und Baden-Württemberg: "Die schlafen nicht und strengen sich auch an", sagt Seehofer

Er kann darauf bauen, dass das restliche Bayern den Ausbau unterstützt. Zumal die Nachbarregionen auf die versprochene Verbesserung der Verkehrswege hoffen. Ein Protestpotenzial wie in Stuttgart ist auch deswegen nicht vorgegeben, weil in der Landeshauptstadt die SPD und Oberbürgermeister Christian Ude zum Ausbau stehen. Ob die Münchner, die nicht unter Fluglärm leiden, gegen den Ausbau demonstrieren werden, bleibt abzuwarten.

Mit der Genehmigung kann die Kapazität des Flughafens deutlich vergrößert werden. Die dritte Start- und Landebahn nordöstlich des bestehenden Flughafengeländes soll vier Kilometer lang und 60 Meter breit werden. Dadurch könnten 120 statt bisher 90 Flugbewegungen pro Stunde abwickelt werden. Die neue Bahn wird voraussichtlich eine Milliarde Euro kosten. Das Geld soll von der Flughafen München GmbH (FMG) erwirtschaftet werden. Als Gesellschafter sind der Freistaat Bayern mit 51 Prozent, der Bund mit 26 Prozent und die Landeshauptstadt München mit 23 Prozent beteiligt.

Seit der Eröffnung des Flughafens im Jahr 1992 ist das Verkehrsaufkommen massiv gewachsen. 2010 wurden laut FMG rund 35 Millionen Passagiere und 390.000 Starts und Landungen registriert, damit habe sich das Fluggastaufkommen gegenüber dem Eröffnungsjahr 1992 etwa verdreifacht und die Anzahl der Flugbewegungen fast verdoppelt.

Den Prognosen der Flughafengesellschaft, dass es so weitergehen werde, glauben die Bürgerinitiativen nicht. "Es gibt weniger denn je eine Notwendigkeit für die dritte Startbahn", sagt Hubert Weiger, Landesvorsitzender des Bundes Naturschutz. Lärm, Flächenverbrauch und den CO2-Ausstoß führen die Kritiker ins Feld. Gegen den im Jahr 2007 beantragten Ausbau des Flughafens wurden 83.999 Einwendungen erhoben. In den Landkreisen Freising und Erding hat sich eine Protestbewegung etabliert. Naturschützer, Anwohner, Freie Wähler sind dabei. CSU- und SPD-Abgeordnete zeigen Sympathien für den Protest oder verhalten sich ruhig. Selbst die katholische Kirche mischt mit. Sie besitzt Grundstücke im Ausbau-Areal. Das Bistum München und Freising will diese erst veräußern, wenn die Rechtslage geklärt ist. "Vollkommen in Ordnung" sei diese Haltung, sagt Seehofer, bemüht, jeden Verdacht eines Konflikts mit Erzbischof Reinhard Marx zu entkräften.

Der Ministerpräsident spielt lieber auf Zeit. Jede Stimme, die der CSU nicht verloren geht, trägt zu seinem großen Ziel bei, der Partei bei der Landtagswahl 2013 wieder die Mehrheit zu sichern. Seehofer glaubt, dass er die CSU vom Abwärtstrend der Union abkoppeln kann. Interne Umfrageergebnisse zeigen ihm aber auch, dass die Unzufriedenheit mit der CSU/FDP-Regierung in Bayern hoch ist.

Deswegen gibt Seehofer nicht den Mappus, sondern zeigt sich verständnisvoll. Deswegen wird beispielsweise der Planfeststellungsbeschluss schon im Internet veröffentlicht, aber erst nach den bayerischen Sommerferien, Mitte September, offiziell bekannt gemacht. Das ermöglicht den Flughafengegnern, sich länger mit der 2837 Seiten umfassenden Genehmigungsschrift zu befassen. Die Flughafengesellschaft hat erklärt, dass sie vorerst nicht mit dem Bauen beginnen wird. Die Gegner erwarten, dass die Bagger erst anrollen, wenn alle Klagen entschieden sind.

Das wird, optimistisch geschätzt, frühestens in einem Jahr sein - pünktlich zum Wahlkampfbeginn. Deswegen findet Seehofers Dialogbereitschaft auch in den eigenen Reihen nicht nur Unterstützung. Es wird diskutiert, ob es nicht taktisch klüger wäre, schneller voranzugehen. Zumal niemand damit rechnet, dass die Gegner umzustimmen sind. "Wir lassen uns nicht einlullen", erklärte auch schon der Sprecherrat von AufgeMUCkt zu Seehofers Gesprächsangeboten.