Beim Treffen von Angela Merkel und Russlands Präsidenten Dmitri Medwedew zeigen sich Differenzen bei einigen entscheidenden Themen.

Hannover. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Dmitri Medwedew lassen sich Zeit. Der Fototermin vor dem Congress Centrum in Hannover dauert doch etwas länger. Drinnen, im Kuppelsaal, warten schon die Teilnehmer des Petersburger Dialogs. In Wolfsburg haben am Tag zuvor in dessen Rahmen mehr als 100 Teilnehmer aus Deutschland und Russland über das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat diskutiert. Jetzt bleibt den Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Verbänden eine Stunde Zeit, Merkel und Medwedew kritische Fragen stellen - bevor die deutsch-russischen Regierungskonsultationen offiziell beginnen.

Diese Begegnung zwischen der Politik und dem, was in diesem Zusammenhang Zivilgesellschaft genannt werden kann, soll dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zu verbessern - und, so die Hoffnung vieler auf deutscher Seite, dem Partner in Osteuropa helfen, auch bei der Demokratisierung voranzukommen.

Noch vor wenigen Tagen drohte ein Schatten auf die sogenannte strategische Partnerschaft zwischen Berlin und Moskau zu fallen. Die Entscheidung, dem russischen Premierminister Wladimir Putin den Quadriga-Preis zu verleihen, hatte parteiübergreifend in Deutschland und vor allem auch bei russischen Oppositionellen für heftige Empörung gesorgt. Woraufhin der Verein Werkstatt Deutschland die Preisverleihung in diesem Jahr ausgesetzt hat.

Wenn der Fall Putin zu Verstimmungen geführt hat, so lassen sich Merkel und Medwedew zumindest nichts anmerken. Noch nicht. Sie geben sich gut gelaunt und locker, scherzen sogar. "Lieber einmal richtig gestritten, als einmal unter den Tisch gekehrt", sagt Merkel und erklärt mit ungewohnter Offenheit, warum es immer noch keine Visa-Freiheit für Menschen aus Russland gibt: Weil eben nicht jeder willkommen ist. Weil die Bundesrepublik erst einmal eine Visa-Warndatei für Kriminelle und terroristische Gefährder aufbauen will und solange auch in Brüssel auf die Bremse tritt. "Die Bundesregierung ist verantwortlich dafür, dass es so schwierig ist", sagt Merkel.

Die Visa-Pflicht ist ein Dauerstreit zwischen Deutschland und Russland. Sie belastet die wirtschaftliche Zusammenarbeit, erschwert den Austausch von Studenten und Wissenschaftlern. Die Bundeskanzlerin verspricht, im kommenden Jahr einen Stufenplan zum Abbau der Beschränkungen vorzulegen. Der russische Präsident drängt auf eine schnelle Lösung. "Es ist besser zu streiten als zu schweigen", sagt Medwedew in diesem Zusammenhang.

Kritiker werfen dem Petersburger Dialog vor, ein lahmer Debattierklub zu sein, der heikle Themen meidet. In diesem Jahr kommt immerhin eine Vertreterin der Menschenrechtsorganisation Memorial zu Wort und beschreibt, welche bürokratischen Hindernisse Nichtregierungsorganisationen in Russland auferlegt werden. Medwedew erklärt dieses Misstrauen historisch: "Engagement war früher in der Sowjetunion verdächtig."

Merkel und Medwedew diskutieren noch über die gegenseitige Anerkennung von akademischen Abschlüssen, über den Aufbau eines öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Russland und den Atomausstieg in Deutschland, als die Konsultationen der Fachressorts bereits beginnen. Neun Minister begleiten Merkel. Medwedew ist mit einer entsprechenden Delegation am Abend zuvor angereist. Alle wollen, dass dieses Treffen ein Erfolg wird.

Insgesamt 15 Vereinbarungen werden am Nachmittag in der Orangerie der Herrenhäuser Gärten unterzeichnet: Sie reichen vom Aufbau eines deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses in Moskau über engere Zusammenarbeit bei der Filmförderung, die Einrichtung eines deutsch-russischen Finanzdialogs bis hin zu Maßnahmen zur Wiederherstellung von Torfmooren in Russland. Sie sollen vor verheerenden Waldbränden schützen, wie es sie im vergangenen Jahr gegeben hatte.

Deutschland ist vor allem im Energiebereich ein wichtiger Partner für Russland, hofft jetzt auf Zusammenarbeit beim Abbau von Ressourcen wie seltene Erden. Im vergangenen Jahr machten Gaslieferungen nach Deutschland 32 Prozent der gesamten Exporte aus, bei Erdöl sind es sogar 36 Prozent. Mit Blick auf die Energiewende in Deutschland hofft Russland, seine Gasexporte noch erhöhen zu können.

Bei diesem Thema wird der Ton freilich deutlich schärfer. "Natürlich braucht Deutschland in den kommenden Jahren mehr Gas", gesteht Merkel ein und stutzt doch hochfliegende Träume wie einen "dritten, vierten oder gar fünften Strang" für die North-Stream-Pipeline aus Russland. Auch Norwegen und Großbritannien lieferten ja Gas nach Deutschland. Was zähle, sei eben der Preis, betont Merkel und schaut dabei Medwedew an: "Die Marktkräfte entscheiden." Der Punkt geht an Merkel. Aber die Revanche folgt sofort.

Denn am Ende fällt doch noch die Frage nach der Rücknahme des Quadriga-Preises und deren Auswirkungen auf das deutsch-russische Verhältnis. Es ist eine heikle Frage, die Merkel sichtlich unangenehm ist. Der russische Botschafter habe alles gesagt, was dazu zu sagen ist, windet sich die Kanzlerin. Medwedew bricht sein höfliches Schweigen und antwortet: "Wenn ein Beschluss einmal gefasst wurde, dann muss er auch eingehalten werden." Die Aberkennung des Quadriga-Preises für Putin sei deshalb ein Ausdruck von "Feigheit und Inkonsequenz". Damit, so sagt Medwedew, habe dieser Preis seine Existenz verwirkt. Mit so deutlichen Worten hat sich noch kein Politiker zu dem Fall geäußert. Streit scheint Medwedew nicht zu scheuen. Wenige Augenblicke später lächelt er wieder.