100.000 Personalakten sollen ausgewertet werden, es soll keine falsche Rücksichtnahme geben, so der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Trierer Bischof Stephan Ackermann. Das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachen unter Leitung von Christian Pfeiffer ist eingebunden.

Bonn. Mit zwei großangelegten Forschungsprojekten will die Deutsche Bischofskonferenz die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche fortsetzen. Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, bekräftigte am Mittwoch vor Journalisten in Bonn, es gehe um „eine ehrliche Aufklärung, frei von falscher Rücksichtnahme“.

Im Zentrum der ersten Untersuchung durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachen unter Leitung von Christian Pfeiffer steht zum einen die umfassende Ermittlung des Umfangs von sexuellem Missbrauch in der Vergangenheit. Dazu sollen unabhängige Juristen sämtliche Personalakten von Priestern, Diakonen und männlichen Ordensleuten in den 27 deutschen Bistümern von 2000 bis 2010 auf entsprechende Taten sichten. In neun repräsentativen Bistümern sollen zudem auch die Akten seit 1945 untersucht werden. Zudem sollen Missbrauchsopfer befragt werden.

Insgesamt gehe es um die Auswertung von mehr als 100.000 Personalakten, sagte Pfeiffer. „Das ist gewaltig, was wir der Kirche da aufbürden.“ Denn die vorbereitende Arbeit der Aktenfindung liege bei den Diözesanarchivaren. Weltweit habe sich bisher in keinem anderen Land eine katholische Kirche zu einer so umfassenden Aufarbeitung von Missbrauch bereiterklärt, betonte der Kriminologe. Er habe keine Zweifel, dass die Kirche als Auftraggeber die freie Forschung zulassen werde. So werde sein Institut „belastbare Zahlen“ vorlegen, die ein Gesamtbild von sexuellen Übergriffen im kirchlichen Raum seit Ende des Zweiten Weltkriegs liefern sollen.

Das zweite Forschungsprojekt unter Federführung von Professor Norbert Leygraf vom Institut für Forensische Psychiatrie der Universität Duisburg-Essen nimmt einzelne Täterprofile in den Blick. Grundlage sind alle Fälle zwischen 2000 und 2010, bei denen psychiatrische und psychologische Gutachten der betreffenden Geistlichen vorliegen. So sollen weiterführende Erkenntnisse über psychische Störungen und Auffälligkeiten, die sexuelle Entwicklung und biografische Zusammenhänge bei den Tätern gewonnen werden. Derzeit gebe es rund 75 Gutachten, die innerhalb eines Jahres ausgewertet sein sollen.

Ackermann lobte einen „Geist der Einsicht“, der bei den deutschen Bischöfen nach dem Schock des Missbrauchsskandals zur Bereitschaft geführt habe, diese Untersuchungen zu ermöglichen. Die Ergebnisse dienten einerseits dazu, einen Überblick über das dunkle Kapitel des Missbrauchs in der Nachkriegszeit zu erhalten. Zum anderen solle gegebenenfalls das Präventionskonzept der Kirche ergänzt werden.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zeigte sich erfreut über die beiden Projekte. Damit dokumentierten die Bischöfe ihren entschiedenen Willen zur Aufklärung und zu einer wirksamen Prävention, erklärte ZdK-Präsident Alois Glück in Bonn. Auch die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ begrüßte den Auftrag für die unabhängigen Studien, mahnte aber an, es müssten „auch die Fragen nach möglichen strukturellen Ursachen und nach den tieferen Zusammenhängen von Macht, Sexualität und Missbrauch gestellt werden“. Auch bestehe die Gefahr, dass bereits Akten vernichtet worden seien.

Pfeiffer sicherte zu, dass auch der Umgang der kirchlichen Instanzen mit Missbrauchstaten untersucht werde. Auch die Frage nach dem Zölibat als einer möglichen Ursache von Kindesmissbrauch spiele eine zentrale Rolle. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ sagte er jedoch, es gebe sogar Anhaltspunkte dafür, dass Priester im Vergleich zu Männern ihrer Altersgruppe in Deutschland sogar seltener übergriffig würden.

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